Eine Androidin (Jana McKinnon) steht im Zentrum von Sandra Wollners Diplomfilm „The Trouble with being born“, der bei der Berlinale läuft. Foto: Berlinale

Thomas Schadt hat als Leiter der Ludwigsburger Filmakademie noch einmal verlängert. Im Gespräch erklärt er, wie und warum er die erfolgreiche Hochschule umbauen möchte in seiner vierten Amtszeit.

Stuttgart - Studierende der Filmakademie Baden-Württemberg sind international gefragt, ihre Spiel-, Trick-, Dokumentar- und Werbefilme holen regelmäßig Preise. Die Erfolge sind nicht selbstverständlich für Thomas Schadt, der die Hochschule seit 2005 leitet und gerade um weitere fünf Jahre verlängert hat – um das Niveau zu halten, plant er große Veränderungen.

Herr Schadt, eine vierte Amtszeit ist keine Kleinigkeit – was haben Sie sich vorgenommen?

Die Voraussetzung war, die Schule weiterentwickeln zu können. Ich wollte nach 15 Jahren nicht das Gefühl haben, nur noch zu verwalten. Das für uns zuständige Ministerium hat Andreas Hykade, den Leiter des Animationsinstituts, und mich beauftragt, ein Strategiepapier zu entwickeln. Andere Filmhochschulen haben aufgeholt, München investiert jetzt stark ins Digitale, Serie gibt es auch andernorts. Wir setzten in unserem Papier zwei Schwerpunkte: Internationalisierung und Stärkung von „Intellectual Property“ (IP), geistigem Eigentum. Das wird nun, der Landesregierung sei gedankt, auch finanziert und umgesetzt.

Was bedeutet Internationalisierung?

Deutschkenntnisse als Voraussetzung fürs Hauptstudium sollen fallen. Das Filmbusiness ist international, seine Sprache ist Englisch. Wir wollen durchgängig zweisprachig unterrichten. Dadurch öffnen wir uns für Talente aus der ganzen Welt. Das gibt es so bislang an keiner anderen Schule. Ich habe als Arbeitstitel von einer europäischen Filmakademie gesprochen und bin überzeugt, dass wir dieses gemeinsame Europa mit seiner kulturellen Diversität brauchen. Das muss sich in so einer Schule widerspiegeln, wir wollen ein offenes Haus. Für uns ist das auch ein gesellschaftliches Statement gegen alle diese Abschottungsgedanken, die aus manchen Ecken kommen.

Wenn Nicht-Muttersprachler Englisch reden, erreichen sie oft nicht die selbe Tiefe – kann das zum Problem werden?

Die Studierenden sprechen heute viel besser Englisch als noch vor zehn Jahren. Wir haben das bei einem Pitching auf Englisch getestet. Wenn das zur Standardkommunikation wird, kommen sie schnell noch auf ein ganz anderes, inhaltlich sehr differenziertes Niveau. Die Jahrgänge, die jetzt kommen, fordern zudem mehr englischsprachigen Unterricht und internationale Dozierende ein.

Was IP angeht, sind Firmen aus der Region bislang vor allem erfolgreich mit Kinderserien wie „Meine Schmusedecke“ der Filmakademie-Absolventin Angela Steffen. Wie kann daraus mehr werden?

Die Ausbildung muss dafür sorgen, dass beispielsweise im Animationsbereich mehr IP entsteht, die dann hier vor Ort auch produziert wird. Das ist ja eine urschwäbische Tugend, nur dass es statt um Dübel um Geschichten geht. Das muss die gesamte Akademie durchdringen. Die Überschrift lautet: What‘s the Story? Dafür stellen wir das Curriculum der Drehbuchabteilung neu auf – dabei geht es nicht mehr nur um den szenischen Film oder die singuläre Autorenschaft, sondern zum Beispiel auch um Schreiben für Animationsfilm.

Welche inhaltlichen Kriterien legen Sie an?

Ist eine Geschichte erzählenswert und hat sie eine Überlebenschance in der Medienwelt? Was macht der Film mit mir, beschäftigt er mich? Die Begriffe dafür sind Relevanz, Originalität und Intensität. Wegkommen müssen wir vom einengenden Genre-Denken, Mainstream und Arthouse, E und U – das ist alles Quatsch. Wenn einer im Mainstream unterhalten möchte, zählt das Qualitätsprinzip genauso wie bei der Werbung, beim TV-Journalismus, beim künstlerischen Film. Und es ist kein Geheimnis, dass wir gesellschaftsrelevante Themen unterstützen wie 2019 den Dokumentarfilm „Lord of the Toys“ über die Dresdner Influencer-Szene. Derzeit bringen viele Studierende Themen wie Diversität, Diskriminierung, Klimaschutz ein. Sie politisieren sich wieder stärker.

Wie divers ist denn Ihre Studierendenschaft?

Die neue baden-württembergische Polizeipräsidentin hat gesagt: Die Gesellschaft muss sich besser abbilden in der Polizei – und das trifft für uns auch zu. Wir brauchen mehr Diversität. Leute von der Pariser Filmhochschule La Fémis gehen jetzt zum Beispiel in die Vorstädte, um gezielt Migranten anzuwerben und dem Eindruck entgegenzuwirken, eine bourgoise Eliteschule zu sein. Auch bei uns überwiegen Gymnasiasten aus Bildungsbürgerhaushalten. Leute aus anderen Schichten bringen ganz andere realitätsnahe Geschichten mit, finden aber nicht so leicht den Weg an die Akademie, wenn wir uns nicht bemühen und sie direkt ansprechen.

Die Absolventin Nora Fingscheidt sagt, ihr Berlinale-Film „Systemsprenger“ wäre so erfolgreich, weil sie an der Filmakademie in Ruhe das Buch entwickeln konnte – wie wichtig ist der Faktor Zeit?

Er ist der Schlüssel. Nora hat die Akademie idealtypisch genutzt und wir haben sie ermutigt, sich Zeit zu lassen. Sie hat mit Urlaubsjahr, Mutterschutz und Verlängerung neun Jahre hier studiert und dabei kontinuierlich ihr Thema recherchiert. Fälle wie Nora lehren uns: Ein gutes Buch braucht Zeit. In Deutschland haben wir bundesweit 250 Millionen Euro im Jahr allein an Fördergeldern, Netflix, Sky und auch die öffentlich-rechtlichen Sender sind groß in die Serienproduktion eingestiegen. Am Geld liegt es also nicht, wenn deutsche Produktionen international keine so große Rolle spielen, sondern eher daran, dass man zu schnell in die Produktion geht. Andere Länder investieren oft mehr in die Stoffentwicklung, das würde ich mir für unsere Filmkultur auch wünschen.

Die Streaming-Dienste brauchen viel Content und bieten Filmemachern neue Möglichkeiten – wie bereiten Sie sie auf Netflix, Sky und Amazon vor?

Es gibt eine Spitze, Produktionen für die Oscars und die Emmys, darunter fällt die Qualität schnell ab. Das ist bei Netflix und Co. genauso wie beim linearen Fernsehen. Es gibt tolle Serien wie „Babylon Berlin“ „Das Boot“, „Banks“, da wird Geld hineingeschoben, dafür wird dann unten schneller und billiger produziert. Ein „Tatort“ hatte früher 28 Drehtage, jetzt sind es noch 21, wenn überhaupt. An einer Filmhochschule darf es nur ein Dogma geben: Das Streben nach Qualität,

Wie viele Bewerber kommen mit eigenen Ideen, wie viele imitieren große Vorbilder?

Zu Beginn der Ausbildung werden sie eher von externen Erwartungen getrieben als von inneren. Vielen ist das gar nicht bewusst. Aber das war schon immer so. Eines hat sich verändert. Als ich studiert habe, war vieles reglementiert, es existierten Tabus. Es gab kein Internet, nicht mal DVDs, Aufklärung fand in meiner Jugend heimlich im Kino statt. Unser Ziel war Befreiung, ein offeneres, wilderes, weniger kalkulierbares Leben als das unserer Eltern. Jetzt beobachten wir eher das Gegenteil: Die Leute wachsen damit auf, dass es alles gibt, sie sehen alles online, schwimmen in diesem Ozean ständiger Kommunikation und haben Angst, darin abzusaufen. Sie sehnen sich wieder nach klareren Strukturen, Reglements, Bezugspunkten, Orientierung. Man muss sie ganz anders ermutigen, es gibt den Ruf nach Coaching, Konfliktbetreuung. Wenn uns damals jemand mit sowas gekommen wäre, hätten wir ihn von der Schule gejagt. Das Zügellose gibt es nur noch in Ausnahmefällen.

Ist es nicht gerade das, was Künstler mit eigener Handschrift auszeichnet?

Ein Klischee, aber etwas daran ist wahr: Wir brauchen Leute, die Grenzen ausloten und überschreiten, damit sie wissen, wie weit sie gehen können. Wo sonst als im geschützten Raum der Ausbildung kann man das ausprobieren? In den Medien hat sich ja auch etwas verändert, Popularität und Hypes sind wichtiger geworden. Darum geht es bei der Ausbildung an einer Filmhochschule aber nicht – sondern um Diskurs, Inhalt und Durchdringung. Dass Studierende auch scheitern, muss und soll so sein, denn dabei lernen sie am definitiv an meisten.

Wie halten Sie Schritt mit der rasanten medialen Entwicklung?

Was die Studierenden umtreibt, erzählen ihre Filme und die Diskussionen mit ihnen. Da spürt man Entwicklungen und Befindlichkeiten. Das ist das größte Privileg an diesem Job: der Dialog. Viele Leute in meiner Altersgruppe wissen erschreckend wenig über die Themen der Jugend. Auch für uns ist es manchmal schwierig, ihrer Sprache zu folgen, ihren Gewohnheiten, ihren Idealen. Aber wir sind darauf trainiert, es zumindest verstehen zu wollen.

Dokumentarfilmer
1957 in Nürnberg geboren, studiert Thomas Schadt von 1980 an in Berlin. Er dreht Filme wie „Der Kandidat“ über Gerhard Schröder im Wahlkampf 1998. 2000 wird er Professor für Dokumentarfilm an der Filmakademie, 2005 Künstlerischer Direktor, 2007 alleiniger Geschäftsführer.

Berlinale In „Das Kino ist tot, es lebe das Kino“ blickt Thomas Schadt hinter die Kulissen des Festivals und begleitet den langjährigen Direktor Dieter Kosslick bei dessen letzter Berlinale. Der Film läuft am 19. 2. um 23.55 Uhr auf Arte. Absolventen der Filmakademie haben es schon öfter in den Wettbewerb geschafft, Nora Fingscheidt mit „Systemsprenger“ (2019) etwa. Nun zeigt Qurbani im Wettbewerb eine in die Gegenwart verlegte Verfilmung von „Berlin Alexanderplatz“. Im Wettbewerb Encounters läuft Sandra Wollners „The Trouble with being born“, die Geschichte eines Sexroboters.

Filmakademie Absolventen haben einige Studenten-Oscars geholt: für „Rochade“ (1998, Regie: Thorsten M. Schmidt), „NimmerMeer“ (2007, Regie: Toke Constantin Hebbeln), „Von Hunden und Pferden“ (2012, Regie: Thomas Stuber), „Erledigung einer Sache“ (2015, Regie: Dustin Loose) und „Galamsey – Eine Handvoll Gold“ (2017, Regie: Johannes Preuss). Einer der publikumsträchtigsten Absolventen ist Bora Dagtekin („Fack ju Göhte“), in aller Munde ist derzeit die zweite Staffel der Serie „Bad Banks“, bei der wie schon bei der ersten der Filmakademie-Alumnus Oliver Kienle („Bis aufs Blut – Brüder auf Bewährung“) kluge Drehbücher geschrieben hat.