Das Atelier am Bollwerk zeigt die Doku über Fritz Bauer, „Gerechtigkeit verjährt nicht“. Bei der Preview (von links): Florian Steinberg, Michael Rubinstein, Barbara Traub und Thomas Will Foto: Lichtgut/Max Kovalenko

Ein Dokumentarfilm würdigt den Stuttgarter Juristen Fritz Bauer, dessen Rechtsauffassung für die Verfolgung von NS-Tätern sich in der Justiz durchgesetzt hat und die aktuellen Verfahren gegen Greise wegen Beihilfe zum Mord ermöglicht.

„Warum hat es so lange gedauert?“ Judy Meisel, 89 Jahre alt, kann und will es nicht verstehen, warum sie so lange warten musste, bis sie einem deutschen Gericht erzählen kann, was sie im KZ Stutthof erlitten hat. Die gleiche Frage stellt Roza Bloch, die nach 70 Jahren als Zeugin im Verfahren wegen Beihilfe zum Mord gegen den ehemaligen Wachmann Bruno Bey angehört wird. Dafür ist sie von Israel nach Hamburg gereist. Und hat die Gerechtigkeit erfahren, dass der 93-jährige Mann zu zwei Jahren Gefängnis, wenn auch auf Bewährung, verurteilt wurde.

Warum hat es so lange gedauert, bis die deutsche Justiz die willigen Helfer des NS-Regimes zur Rechenschaft gezogen hat? Diese Frage stellt und beantwortet der Film „Fritz Bauers Erbe. Gerechtigkeit verjährt nicht“ der Regisseurinnen Sabine Lamby, Cornelia Pertmann und Isabel Gathof, die eine Dokumentation von NS-Prozessen mit der profunden Würdigung des ehemaligen Frankfurter Generalstaatsanwalts verbinden. Sie verfolgen die Arbeit der Opferanwälte Stefan Lode und Christoph Rückel in zwei Verfahren gegen Greise, sie begleiten Lode nach Israel und Ermittler nach Minnesota zur 89-jährigen Judy Meisel, die im Verfahren gegen Johann R., ebenfalls Wachmann in Stutthof, aussagen wird. Und sie machen damit deutlich, dass sich endlich Fritz Bauers Vorstellung von Gerechtigkeit als neues Prinzip der Rechtsauffassung etablieren konnte.

Eine Ehrung für den aufrechten Demokraten Fritz Bauer

Die Israelitische Religionsgemeinschaft Württemberg (IRGW) lud am Vorabend des Holocaust-Gedenktags zur Vorführung ins Filmtheater Atelier am Bollwerk. Mit dem Anliegen, Fritz Bauer (1903–1968) als einen Stuttgarter aus jüdischer Familie, aufrechten Demokraten und wegweisenden Juristen zu ehren. Als Generalstaatsanwalt von Frankfurt hat er im Dezember 1963 den ersten Auschwitz-Prozess mit 22 Angeklagten auf den Weg gebracht und damit die öffentliche Auseinandersetzung mit dem Holocaust eingeleitet. „Ohne Bauers hartnäckigen Einsatz wäre dieser Prozess nicht zustande gekommen“, würdigt ihn Andrea Löw vom Institut für Zeitgeschichte. Denn die bundesdeutsche Nachkriegsgesellschaft sei mehrheitlich dagegen gewesen. Was auch für die Justiz gilt: „Wenn ich mein Büro verlasse, betrete ich Feindesland“, hat Bauer die überwiegende politische Einstellung der Kollegen umschrieben.

Bauers Denkansatz, ein KZ als Handlungseinheit und alle dort Tätigen als Schuldige einzustufen, hatte sich zunächst nicht durchgesetzt. Das Gericht forderte den individuellen Tatnachweis. „Nur 7000 Täter sind bis heute verurteilt, weil die Beweislage oft nicht ausreichte“, sagt Jens Rommel, der Leiter der Zentralstelle Ludwigsburg zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen, wo 1,7 Millionen Karteikarten und kilometerlange Aktenreihen eine andere Dimension verraten. „Das Strafgesetzbuch ist nicht für staatlich organisierte Verbrechen geeignet“, meinte Oberstaatsanwalt Thomas Will in der anschließenden Diskussion mit Regisseurin Sabine Lamby, Oberstaatsanwalt Florian Steinberg, Katharina Rauschenberger vom Fritz-Bauer-Institut und dem Antisemitismusbeauftragten Michael Blume.

Es kommt auf die Anerkennung des Unrechts an

Fritz Bauer war anderer Meinung: Man könne Paragrafen und Gesetze machen, „aber sie müssen gelebt werden, es kommt auf den Menschen an“. Und die späten Prozesse gegen die Wachleute oder zuletzt gegen eine 96-jährige Sekretärin vom KZ Stutthof geben Bauer recht. Sie werden, so Will, nicht die letzten gewesen sein.

„Es ist gut so“, hatte Roza Bloch das Urteil gegen Bruno Bey kommentiert. „Es kommt nicht auf das Strafmaß, sondern auf die Anerkennung des Unrechts an“, stellte Steinberg fest. Ganz im Sinne von Fritz Bauer und seiner Überzeugung, dass es für Gerechtigkeit keine Verjährungsfrist geben kann.