Szene aus dem Film „Colonia Dignidad“ Foto: Majestic

„Urchristliches Leben im Gelobten Land“ versprech Paul Schäfter 1961 in seiner Art „Mustergut“ an der Westküste Chiles, der „Colonia Dignidad“. Wie es dort wirklich zuging, zeigt der Film „Colonia Dignidad“ von Florian Gallenberger mit Mitteln des Thrillers und einer Liebesgeschichte zwischen Emma Watson und Daniel Brühl.

Stuttgart - Sie hocken im düsteren Gewölbekeller und schälen Kartoffeln, die Liebenden Lena (Emma Watson) und Daniel (Daniel Brühl). Stumm, angstvoll, entschlossen – das Paar plant seine Flucht aus der Colonia Dignidad. Dahin haben Soldaten Daniel am 11. September 1973 in Santiago de Chile beim Putsch gegen den amtierenden Salvador Allende verschleppt. In einer abenteuerlichen Reise folgt ihm Lena. Regisseur Florian Gallenberger erzählt mit den Mitteln eines Thrillers, welche Kraft eine große Liebe zu aktivieren vermag. Die Flucht gelingt, das Paar landet nach mehreren Rückschlägen in Deutschland. Das ist alles ziemlich spannend. So weit die Fiktion.

Die historischen Fakten: Umgeben von Stacheldraht, Stolperfallen und Beobachtungstürmen, bewacht von abgerichteten Hunden, hat der Deutsche Paul Schäfer 1961 an der Westküste Chiles ein „Mustergut“ aufgebaut. „Urchristliches Leben im Gelobten Land“ versprach der evangelische Jugendpfleger seinen Sekenmitgliedern. Doch was die frommen Siedler empfing, waren Arbeitsmethoden wie im Mittelalter, strikte Trennung von Frau und Mann (Kinder wurden trotzdem gezeugt oder aus Deutschland entführt), Züchtigungen, Folter und Missbrauch.

Verdrängen und vertuschen

Gedeckt durch den Mediziner Hartmut Hopp und weitere Mittäter lebte in der Colonia Dignidad Paul Schäfer seine sadistischen Neigungen aus – angeblich hat die deutsche Regierung mehrere Jahrzehnte nichts davon gewusst. Verdrängen, vertuschen: Deutschland boykottierte in den frühen 1970er Jahren den sozialistischen Regierungschef Salvador Allende. Die deutsche Industrie lieferte Waffen für seinen Sturz. Am 11. September 1973 wird Allende gestürzt, eine Militärjunta unter General Augusto Pinochet übernimmt die Macht.

Gallenberger („John Rabe“) hätte, wenn ihm sein „Aufarbeitungs“-Anliegen ernst genug gewesen wäre, einen Dokumentarfilm drehen können. Vermutlich aber hätte er dafür weder Geldgeber noch Zuschauer gewonnen. Also dient ihm das traurige Schicksal von Betroffenen als Schablone, um darauf eine fiktive Liebesgeschichte zu dichten. Er castet für die Hauptrollen Emma Watson als Flugbegleiterin Lena und Daniel Brühl als Fotografen Daniel. Im Spielfilm trifft sich das Paar nach längerem Getrenntsein in Santiago de Chile, sie fressen sich fast auf vor Wiedersehensfreude, doch Daniel wirkt abgelenkt. Auf den Straßen wird demonstriert, das Gerücht vom Sturz Allendes bewahrheitet sich, Daniel wird gefangen genommen und in die Colonia Dignidad verschleppt.

Der Mut der Frauen

Es ist schon viel vom Mut der Frauen erzählt worden, in diesem Fall trifft es Lena. Wild entschlossen, ihren Daniel zu retten, folgt sie ihm quer durchs Land in die streng abgeschottete Kolonie. Gallenberger hat in Zeitzeugenberichten gründlich recherchiert. Und er folgt einem unbeirrbaren Zwang, Grausamkeiten wie Folter an Regimegegnern Pinochets, Demütigungen und Missbrauch an freiwillig anwesenden Mitgliedern (insgesamt lebten zwischen 250 und 350 Frauen, Männer und Kinder im „Mustergut“) bis zur Zumutbarkeitsgrenze zu präsentieren. Immerhin ist die Rolle Schäfers mit Michael Nyqvist überzeugend genug besetzt. Seine stechenden Augen, sein insistierend bohrendes Fragen verfolgen den, der sich in die Abhängigkeit der Sektenmitglieder zu versetzen vermag.

Trotzdem: Gallenberger setzt zu viel auf Hochglanz, auf schicke Musik der Zeit, auf optisch reißerische Effekte. Zu oberflächlich erzählt bleiben die schleppend und viel zu milde verurteilten Verbrechen von Schäfer und seinem medizinischen Adjunkt Hopp, die Verstrickung von deutscher Waffenindustrie und Regierung im Demokratisierungsversuch Chiles.

In Stuttgart im Cinemax (SI-Centrum), Cinema und Atelier am Bollwerk