Der Lancia Flavia bietet Frischluftvergnügen für vier Personen. Foto: Hersteller

Lancia besetzt mit dem Flavia eine Nische. Das Cabrio soll die Konzernbeziehungen festigen.

Die Freude ist groß: Lancia hat nach 79 Jahren wieder ein eigenes viersitziges Cabrio im Programm. Allerdings ist der Flavia weit davon entfernt, ein reinrassiger Italiener zu sein - eher ist er ein waschechter Amerikaner mit Italo-Einstecktuch: Seit sich der Fiat-Konzern Chrysler einverleibt hat, firmieren Chrysler-Modelle auf dem europäischen Festland unter dem Markennamen Lancia. Im Flavia verbirgt sich der Chrysler 200, Nachfolger des Sebring - ein durchaus bemerkenswertes Cabriolet, vor allem, was den Preis betrifft. Als ob es nicht schon kompliziert genug wäre: Die Erkenntnis, dass Licht und Schatten bekanntermaßen eng beieinanderliegen, trifft zweifellos für den Flavia zu. Schon in geschlossenem Zustand steht das Fahrzeug mächtig da - schick ist die Bugpartie mit langgezogenen Scheinwerfern, die den Kühlergrill einrahmen.

Von der Seite betrachtet steigt die Karosserie an, um in einem bulligen Heck ihren Abschluss zu finden. Und dann die stilvolle Stoffhaube, von der Flavia-Produktmanager Giovanni Vigorito schwärmt: „Ein Metallklappdach hätte einfach nicht so gut ausgesehen. Das Stoffverdeck verkörpert viel besser das klassisch-elegante Auftreten eines Lancia-Cabrios.“ Wohl wahr, die Kunden jenseits des Atlantiks können jedoch auch ein metallenes Klappdach wählen. Wer zu einem Freiluftausflug aufbricht, lässt das Textildach im Kofferraum verschwinden - allerdings in endlos erscheinenden 28 Sekunden. Zum Vergleich: Im aktuellen Golf Cabrio braucht’s dazu nicht mehr als neun Sekunden. Leider surrt der Klappmechanismus auf Knopfdruck nur im stehenden Flavia. Wer schon einmal von einem ordentlichen Regenguss erwischt wurde, schätzt jede Sekunde früher, die sich das schützende Dach im langsam rollenden Cabrio über einem schließt. Für das ordentliche Zusammenfalten des Verdecks unter der Heckklappe muss man einen kümmerlichen Reststauraum von 198 Litern hinnehmen - in einem 4,95 Meter langen Wagen.

Nach der Norm benötigt der US-Papagallo 9,4 Liter Benzin

Die gute Nachricht: Im Fond finden zwei Erwachsene bequeme Platzverhältnisse. Selbst in geschlossenem Zustand können die Köpfe selbstbewusst oben bleiben, die Kniefreiheit ist akzeptabel. Sollte hinten niemand sitzen, kann ein Windschott für spürbar geringe Luftverwirbelungen im Nacken von Fahrer und Beifahrer sorgen. Auf das sonnige Vergnügen fällt unmittelbar nach dem Motorstart ein bedauernswerter Schatten. Der 2,4-Liter-Vierzylindermotor setzt nämlich seine 125 kW (170 PS) eher nervig in Szene. Sei es während der Beschleunigung, bei hohem Tempo oder besonders an Steigungen: Keinesfalls lustlos, aber angestrengt versucht das aus einstigen Daimler-Chrysler-Zeiten stammende Triebwerk zusammen mit einer etwas überforderten Sechsstufenautomatik den gut 1,8 Tonnen schweren Italo-Amerikaner auf Trab zu bringen, und das mit entsprechender Geräuschuntermalung. Bei aller Liebe zu Dolce Vita und American Lifestyle: Hier zeugt der Flavia von vergangenen Tagen, so etwas muss man schon mögen. Auf einen Diesel verzichten die Lancisti - schade, denn dann käme man auf günstigere Verbrauchswerte: Nach der Norm benötigt der US-Papagallo 9,4 Liter Benzin.

Die konnten auf ersten Testfahrten nicht erreicht werden - zwei Liter mehr sind durchaus realistisch. Gelungen hingegen die Fahrwerksabstimmung zum gemütlichen Dahingleiten, wobei Projektmanager Vigorito betont: „Das Fahrwerk wurde dem europäischen Geschmack angepasst und ist nicht amerikanisch weich.“ Da hat er recht. Auf den Überrollschutz angesprochen verweist Vigorito auf die beiden vorderen Dachsäulen, jedenfalls schnellen im Falle eines Überschlags keine Bügel zum Schutz der Fondpassagiere hervor. Im Innenraum fühlt man sich wegen der hohen Gürtellinie geborgen, die Schalter und Bedieninstrumente folgen einer klaren Ordnung. Der Flavia wird mit umfangreicher Ausstattung angeboten - samt Ledersitzen, Klimaautomatik und Navigationssystem. Serienmäßig fährt das in Amerika gefertigte Mobil für Freiluftfreunde in roter Farbe vom Band. Die Liste der Sonderausstattungen beginnt und endet mit fünf weiteren Lackierungen. Bei Lancia füllt der Flavia eine lange Zeit offene Nische: Die Fiat-Tochter fühlt sich damit zum ersten Mal seit vielen Jahren wieder als komplette Fahrzeugfamilie: vom Kleinwagen Ypsilon über den kompakten Musa und den größeren Delta bis hin zur repräsentativen Limousine Thema sowie dem klassischen Van Voyager. Der Preis von 36 900 Euro ist für ein reich ausgestattetes viersitziges Cabrio mit knapp fünf Meter Länge unstrittig heiß. Der Fahrer ist übrigens noch mit allen Sinnen gefordert: Einparkhilfe, Kurvenlicht, Rückfahrkamera oder Spurhalteassistent gibt’s weder für Geld noch gute Worte - e basta.

Lancia Flavia

Die Fakten
Motor 2,4-Liter-Benziner, 4 Zylinder
Leistung 125 kW (170 PS) bei 6000 U/min
Maximales Drehmoment 220 Nm bei 4500 U/min
Getriebe 6-Gang-Automatik Beschleunigung 0 bis 100 km/h 10,8 s
Höchstgeschwindigkeit 195 km/h
Abmessungen 4948 mm x 1843 mm x 1480 mm
Radstand 2770 mm Leergewicht (EU) 1856 kg
Zulässiges Gesamtgewicht 2132 kg
Anhängelast 454 kg
Sitzplätze 4 Kofferraum 377 l
Tankinhalt 53 l
Reifengröße 215/55 R 18
Normverbrauch 9,4 l
Super CO 2 -Ausstoß 221 g/km
Abgasnorm Euro 5 Grundpreis 36.900 Euro

Lob und Tadel
Der Flavia zieht mit seinem amerikanisch-eindrucksvollen Design die Blicke auf sich. Die Gurte des vorderen Gestühls sind in den Sitzlehnen angebracht, wo man nach ihnen greifen kann, ohne sich zu verrenken. Erfreulich umfangreiche Ausstattung, die eine kostenträchtige Liste für Extras weitgehend überflüssig macht. Im Innenraum fühlt man sich wegen der hohen Gürtellinie so sicher wie in Abrahams Schoß.

Im Falle eines Überschlags gibt es hinten kein Schutzsystem für die Fondpassagiere. Auch wenn der Flavia kein Rennwagen sein soll: Der schwerfällig agierende Motor vergällt einem die Fahrfreude merklich. Mit einem Dieselmotor im Angebot könnte man einen vernünftigen Kraftstoffverbrauch erzielen. Die Gepäckraumklappe lässt sich wegen ihres Gewichts nur mühsam öffnen und schließen. Wie schade, dass man den Klappmechanismus des Stoffdachs nur im Stand betätigen kann. Mit geöffnetem Dach bleiben im Kofferraum nur 198 Liter Platz übrig.