Familie Kara auf dem Stuttgarter Weihnachtsmarkt Foto: dpa

Weihnachtsmarkt, Plätzchenduft, bunte Lichter – auch Muslime lassen sich von der Vorfreude aufs Fest gern anstecken. Trotz fehlender Geschenke und Feiertagsdiensten.

Stuttgart - Familie Kara liebt die Weihnachtszeit. Mit ihren drei Kindern schlendern Ramazan und Tuba Kara an einem Dezemberabend über den Stuttgarter Weihnachtsmarkt, freuen sich an den Lichtern und den Buden voll Nippes, Geschenken und Leckereien. Über ihnen funkelt ein Weihnachtsbaum. Für sie gehören solche Ausflüge im Dezember einfach dazu. Dabei sagt Vater Ramazan: „Wir feiern Weihnachten nicht, es gibt keine Geschenke.“ Die Karas sind gläubige Muslime. „Trotzdem beteiligen wir uns gerne.“

Islamischer Glaube und christliches Fest, für viele Muslime in Deutschland geht das zusammen. „Feste stärken den Zusammenhalt in einer Gesellschaft“, sagt der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime in Deutschland (ZMD), Aiman Mazyek. „Wenn ich mit anderen feiere, heißt das ja nicht, dass ich meine eigenen kulturellen Wurzeln verleugne.“

Deswegen hält Mazyek Diskussionen um neutrale Begriffe für Andersgläubige, wie etwa die Umbenennung von Weihnachts- in Wintermarkt, für absurd. „Da werden Muslime bewusst instrumentalisiert, doch in Wirklichkeit sind es andere, die Umbenennung wollen oder sich daran stören.“

Der Großvater war als Gastarbeiter aus der Türkei nach Deutschland gekommen

Und wie emotional besetzt gerade solche Begriffe sind, zeigte zuletzt der Wirbel um die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Annette Widmann-Mauz. „Egal woran Sie glauben... wir wünschen Ihnen eine besinnliche Zeit und einen guten Start ins neue Jahr“, hieß es in einer Grußkarte aus ihrer Behörde. Soziale Netzwerke kochten hoch, weil die CDU-Politikerin nicht explizit das Wort Weihnachten nutzte.

Die Kinder der Karas haben die Eltern weiter zur nahen Eisbahn gedrängt. Während sich die drei im Alter zwischen fünf und zehn Jahren noch etwas unsicher aufs Eis wagen, steht Ramazan Kara an der Bande und erzählt, wie anders der Umgang mit Weihnachten in seiner Kindheit gewesen sei.

Der Großvater war als Gastarbeiter aus der Türkei nach Deutschland gekommen, sein Vater zog als Jugendlicher nach. Sehr konservativ seien seine Eltern gewesen. „Daheim durfte ich nicht zeigen, dass mir das Liedersingen in der Schule und der viele Schmuck überall gefielen.“ Bei seinen Kindern will er es anders machen. „Sie sollen an allem teilnehmen, was ihnen Spaß macht“, so Ramazan. „Wir erklären ihnen aber auch die Unterschiede zwischen unseren Religionen.“

Gespräche statt Verbote

Auch Fatima Serin-Swais, die den Deutschsprachigen Muslimkreis Stuttgart mitgegründet hat, setzt in ihrer Familie auf Gespräche statt Verbote: „Unserem Sohn haben wir früh erklärt, dass Menschen sich in ihren Sprachen und Religionen unterscheiden.“ Für ihn sei es in Ordnung, kein Weihnachten zu feiern. Er freue sich dafür auf die Geschenke zu den muslimischen Festen. Selbstverständlich ist für Serin-Swais, den Nachbarn an Weihnachten schöne Feiertage zu wünschen und den christlichen Freunden Karten zu schicken. „Das hat unser Prophet so vorgelebt.“

Baria Yayla-Akgüre lebt mit ihrer Familie in der Nähe von Stuttgart. Sie freut sich zu Weihnachten über die schön beleuchteten Straßen und Häuser und all das leckere Gebäck. Geschenke gibt es auch bei ihnen nicht. „Wir schaffen mit dem Weihnachtsgeld aber Dinge an, die schon lange geplant waren.“ Dieses Jahr hat sich ihre neun Jahre alte Tochter zum ersten Mal einen Adventskalender gewünscht. „In der Grundschule bekommt sie mit, wie andere feiern. Mir ist es wichtig, dass sie ebenso die Hintergründe des Festes kennt.“

In vielen Schulen wird in der Adventszeit gebastelt, durch die Flure schallt „In der Weihnachtsbäckerei“ und oft finden Gottesdienste oder kleine Andachten statt. „Auf Kinder anderer Religionen wird Rücksicht genommen, aber es wäre falsch, deshalb kein Weihnachten in den Schulen zu feiern“, sagt der baden-württembergische Landesvize des Verbands Bildung und Erziehung (VBE), Michael Gomolzig.

Lob für den Umgang in den Schulen

Gomolzig verweist darauf, dass in der Landesverfassung bewusst von christlichen Gemeinschaftsschulen gesprochen wird. Eine Erziehung „auf der Grundlage christlicher und abendländischer Bildungs- und Kulturwerte“ ist darin festgeschrieben. „Das bedeutet nicht, dass jemand zum Gottesdienst gezwungen wird“, betont Gomolzig. Andersgläubige würden respektiert. „Die Schulen leisten da tolle Arbeit.“ In der Praxis laufe meist alles sehr harmonisch ab.

Lob für den Umgang in den Schulen kommt vom Vorsitzenden der Islamischen Glaubensgemeinschaft Baden-Württemberg (IGBW), Muhittin Soylu. Einen Wunsch hat er allerdings: „Sinnvoll und wünschenswert wäre, dass man in Klassen mit vielen muslimischen Schülern auch an unsere Feste denken und sie ebenfalls feiern würde. Das würde zum gegenseitigen Verständnis beitragen.“ Für Muslime gehören das Opferfest und das Fest zum Fastenbrechen nach Ramadan zu den wichtigsten Feiertagen.

Auf der Eisbahn am Weihnachtsmarkt drehen die Kinder eine letzte Runde. Mutter Tuba Kara erzählt, wie sie Heiligabend verbringen werden: „Für uns ist das ein ganz normaler Tag, meistens machen wir einen Filmabend.“ Ramazan Kara muss arbeiten, wie eigentlich jede Weihnacht. „Der Arbeitgeber und die Kollegen sind froh und mir macht es nichts aus, einzuspringen“, sagt er.

Der ZMD-Vorsitzende Mazyek beobachtet, dass Muslime vor allem bei Polizei oder Bundeswehr gern für den Feiertagsdienst angefragt werden. „Es gibt dann zum Beispiel Vereinbarungen, dass muslimische Rekruten am Opferfest frei haben und dafür an einem der Weihnachtstage den Dienst übernehmen.“ Das sei eine gute Option, von der beide Seiten profitierten.

In Stuttgart macht sich Familie Kara auf den Heimweg. Vorher zieht es Tuba Kara aber noch zu einer der Marktbuden. „Ich habe meiner Mutter versprochen, ihr gebrannte Mandeln mitzubringen, die liebt sie so.“