In der TV-Sendung „The Great British Bake Off“ wird gebacken, bis die Bleche glühen – und Millionen Briten schauen zu. Foto: dpa

Die Sendung „The Great British Bake Off“ lockt Millionen vor die Fernseher. Die letzte Runde des Backwettbewerbs dürfte die Show mit den meisten Zuschauern des Jahres sein. Warum nur?

London - Der britische Premierminister David Cameron backt gerne Brot. Doch noch lieber schaut er anderen Menschen beim Backen zu – und gehört damit im Vereinigten Königreich zu einer beschürzten und generationenübergreifenden Riesenschar von Briten, die im Backfieber sind. Ausgelöst wurde es durch die BBC-Sendung: „The Great British Bake Off“, in der zwölf Kandidaten mit Nudelholz und Messbecher gegeneinander antreten. Das einfache Konzept: In jeder Folge fliegt jemand raus.

Es ist eine Art Castingshow mit Sahnehäubchen, die alle Quoten-Rekorde bricht. Im vergangenen Jahr lockten nur zwei Fußball-WM-Spiele mehr Menschen vor den Fernseher als das Finale der TV-Amateurbäcker. An diesem Mittwoch wird die letzte Sendung der diesjährigen Staffel ausgestrahlt, und es dürfte die meistgesehene des Jahres werden – trotz der Rugby-WM. Im Schnitt schalten mehr als zehn Millionen Menschen ein, wenn in einem in der englischen Prärie aufgestellten Zelt die Öfen angeschmissen oder Pfauen aus Schokolade kreiert werden. Das ist jeder sechste Brite.

Die Jury besteht aus dem einst äußerst unbekannten, mittlerweile sehr berühmten Bäcker Paul Hollywood und der Kochbuch-Autorin Mary Berry, die auf der Insel im Alter von 80 Jahren fast großmütterlichen Heiligenstatus erreicht hat. Die beiden bewerten die Kuchen und Kekse, Torten und Tartes der Hobbybäcker ohne Hysterie und Boshaftigkeit, dafür mit viel englischer Höflichkeit und nachsichtigem Respekt. „Queen Victoria wäre stolz“, befand Berry einmal gegenüber einer schwitzenden Kandidatin. Kaum vorstellbar, dass es im Königreich ein größeres Lob gibt. Derweil planen die Zuschauer ihre Woche um den Mittwochabend herum, obwohl die größten Dramen der Sendung um bange Fragen kreisen wie: Geht der Teig auf wie gewünscht? Ist der Kern des Kuchens doch noch nicht durch? Hat die Füllung geklappt? Zerläuft das Orangen-Sorbet, bevor es zur Beurteilung kommt? Das Publikum zittert mit und atmet erleichtert auf, wenn das Resultat wie gewünscht ausfällt – und das, obwohl es nicht einmal probieren kann.

Selbst Premierminister David Cameron drückt die Daumen

Die Favoritin für den diesjährigen Titel „Starbäcker“ heißt Nadiya Hussain, und selbst Premier Cameron drückt der 30-Jährigen die Daumen – weil sie „unter Druck so cool“ bleibe. Der Erfolg zeigt, dass sich viele Menschen nach einem Rückzug in die heile Welt der Küche sehnen, wo die Herstellung von fantasievollen Torten und Desserts den Stress des Alltags vergessen lässt. Wo sich Kandidaten in Krisenminuten auch mal aushelfen und so die traditionellen Werte des englischen Sportsgeists wiederbeleben. Pastellfarbene Mixer, mit Blümchen dekorierte Geschirrhandtücher – in den Showküchen sieht es mehr nach Märchen denn nach Realität aus. Oder zumindest wie in den 50er Jahren.

„The Great British Bake Off“ sei ein kulturelles Phänomen, heißt es in den Medien. Der „Guardian“ schreibt: „Es mag zurzeit die perfekte Show für Großbritannien sein.“ Man lebe in einer Zeit, in der die Wörter „great“ (zu Deutsch: großartig) und „british“ nicht gefahrlos bei vielen Dingen zusammen genommen werden könnten. „Aber sie können bei einem Backwettbewerb zum Einsatz kommen.“

Die Wirtschaftskrise hat die Insel schwer getroffen, die Bedeutung des einstigen Empires schwindet, im Sport reiht sich eine peinliche Niederlage an die nächste, und der Reiz der „Britishness“ scheint gefährdet. Flüchtet das Königreich deshalb in die Welt des hausgemachten Charmes? Immerhin gibt es bereits einen erfolgreichen Ableger des Backwettbewerbs: Die Näh-Castingshow „The Great British Sewing Bee“.