Die evangelische Stadtkirche in Ludwigsburg: Viel voller wird sie an den kommenden Sonn- und Feiertagen nicht werden. Foto: factum/Jürgen Bach

Eine Krise ohne Kirche? Ein Osterfest ohne Gottesdienst? Corona bringt auch viele Christen an ihre Grenzen. Allerdings nicht zum Verzweifeln. Die Not befördert die christliche Kreativität – so sehr, dass manche sogar einen tieferen Sinn erkennen.

Ludwigsburg - Normalerweise würde Alexander König in diesen Tagen mit seinen Kommunionkindern basteln, Palmzweige verzieren und mit gemusterten Eiern schmücken. Aber in diesen distanzierten Tagen geht das natürlich nicht. Auf den Palmsonntag werden die Ditzinger Kommunionkinder trotzdem vorbereitet: Sie bekommen einen Brief und eine Bastelanleitung von ihrem Pfarrer – der zugleich der Chef des katholischen Dekanats im Landkreis Ludwigsburg ist. Und bei dem es eine besondere Dimension hat, wenn er sagt: „So etwas haben wir noch nie gehabt.“

Ob die Pest wütete, ein Krieg oder ein anderes Elend – dass in Kirchen kein Gottesdienst gefeiert wurde, das hat es noch nie gegeben. Und dass die Pforten nun sogar an einem der höchsten Feste der Christenheit verschlossen bleiben müssen, ist eigentlich ganz und gar unglaublich. „Es ist, als ginge die Fastenzeit über Ostern hinaus“, sagt Alexander auch noch.

Allerdings wäre es wohl schlecht um den Glauben der Kirchenoberen bestellt, wenn sie in dieser Situation verzweifeln würden. Tatsächlich findet Ostern sehr wohl statt, mit etwas anderen Mitteln.

Ein kleines Ensemble auf dem Friedhof

Alexander König zum Beispiel feiert am Gründonnerstag und in der Osternacht eine Messe in der verschlossenen Kirche St. Maria – und stellt aufgezeichnete Sequenzen davon später ins Netz. Vor der katholischen Kirche im Ludwigsburger Stadtteil Neckarweihingen wird am Karfreitag ein großes Holzkreuz aufgestellt, an das Gläubige Zettel mit ihren Sorgen und Ängsten pinnen können. An der Tür zur evangelischen Friedenskirche hängen Wünsche und Gebete zur Erbauung, in der Kreuzkirche zieren Blumen und Karten mit Ostergedanken den Eingang. So wie an vielen Gotteshäusern Andachtshefte mit Gebeten und Gedanken ausliegen, stellenweise gibt es sie sogar in kindgerechter Ausführung inklusive Rätseln und Ausmalbildern. Alois Krist, der leitende Pfarrer der katholischen Kirche in Ludwigsburg, regt an, am Palmsonntag Palmzweige auf den Fenstersims zu stellen – als äußeres Zeichen der Verbundenheit. Und Friedrich Zimmermann, Dekan und evangelischer Pfarrer in Ditzingen, tüftelt sogar an einer unverfänglichen Osterandacht auf dem Friedhof.

Lesen Sie hier: „Jesus hat nicht zum Frühstück eingeladen“

Wenn es klappt, wie sich die Kirchengemeinde das ausmalt, spielen dort zwei Bläser Osterchoräle, und die diensthabende Pfarrerin verteilt ihre Osterpredigt an diejenigen, die – wie jedes Jahr – den Ostersonntagmorgen auf dem Ditzinger Friedhof verbringen wollen. Alles natürlich im Rahmen der Abstandsregeln. Wenn es ganz besonders gut läuft, ziehen die Choralbläser danach weiter und spielen an einigen exponierten Stellen der Stadt. „Was man machen kann und was nicht – das ist ein großes Ringen“, sagt Friedrich Zimmermann, der gezwungenermaßen seinen jüngsten Enkel noch nicht persönlich kennen lernen konnte.

Kamera Ja, Abendmahl Nein

Wobei – auch das lässt sich beim Blick auf das Angebot der Kirchen feststellen: Es ist erstaunlich viel machbar. Nicht nur, dass die meisten Kirchengemeinden auf ihren Webseiten Gottesdienste streamen oder Teile davon einstellen, Andachten, Lieder und Impulse zum Tag veröffentlichen. Auch die Evangelische Hochschule hat ihre gesamte Bibelauslegung für die Kar- und die Osterwoche ins Internet verlegt. Und inzwischen sind auch Seelsorger auch am Telefon im Einsatz; Pfadfinder nähen Schutzmasken; junge Christen kaufen für Corona-Gefährdete ein; Kirchengemeinderäte konferieren online; Jungscharen treffen sich via Skype. „Es ist erstaunlich, was alles auf die Beine gestellt wird“, sagt der evangelische Ludwigsburger Dekan Winfried Speck, der am Karfreitag seinen ersten Gottesdienst mit Kamera, aber ohne Abendmahl zelebriert.

„Viele Kirchen haben in der Krise eine Chance entdeckt und neue Wege betreten“, meint Klemens Kissner, dessen Freie evangelische Gemeinde der Evangelischen Allianz Ludwigsburg angehört, die wiederum mit fünf Mitgliedern ihres Netzwerks einen gemeinsamen Online-Gottesdienst aus dem Boden gestampft hat. „Mutanfall“ lautet der Titel der Reihe, die auch an den kommenden Sonntagen um 10.30 Uhr von einem improvisierten Studio heraus ausgestrahlt werden soll. Mehr als 3000 virtuelle Gottesdienstbesucher hat die eigenen Angaben zufolge überwältigte Evangelische Allianz gezählt. Für Klemens Kissner ein Zeichen dafür, dass die Kirche ihren Platz einnehmen und „der verunsicherten Gesellschaft beistehen“.

Eine besondere Titelseite

Bitter nur, dass die Besucher welches virtuellen Gottesdienstes auch immer, den Opferstock nicht füllen können. „Das bedeutet erhebliche Verluste“, sagt Friedrich Zimmermann, der sich darauf einstellt, demnächst einen Spendenaufruf zu veröffentlichen. Die Titelseite des Ditzinger Anzeigers – auch das vielleicht ein Zeichen – wird in der kommenden Woche erstmals von der evangelischen und der katholischen Kirchengemeinde sowie von der Evangelischen Allianz gestaltet.

„Wer Ostern kennt, kann nicht verzweifeln“, wird unter anderem darauf zu lesen sein. Das Zitat stammt von dem evangelischen Theologen Dietrich Bonhoeffer – spricht aber auch dem katholischen Dekan Alexander König aus der Seele. In diesem Jahr, sagt König, gehe es nicht nur darum, dass wir Ostern feiern – sondern vielmehr darum, dass wir Ostern haben. Das Fest stehe dafür, dass das Leben weitergehe.