Christian Lindner ist vor den Kompromissen in einer Jamaika-Regierung zurückgeschreckt. Foto: dpa

Parteichef Christian Lindner muss nach dem Jamaika-Aus zeigen, dass er die politische Verantwortung nicht scheut, kommentiert Thomas Maron.

Berlin - Die FDP steht vor einem schwierigen Jahr. Sie steht unter Rechtfertigungszwang, muss sich nach dem Ausstieg aus den Jamaika-Verhandlungen mit der Vergangenheit herumschlagen statt die Zukunft zu gestalten. Parteichef Christian Lindner steht vor einer weiteren Feuertaufe. Arbeitgeberverbände und Unternehmer, die große Hoffnungen in die Partei gesetzt haben, zeigen sich irritiert von seiner Abkehr von Jamaika. Sie setzten darauf, dass die FDP das Schlimmste verhindert.

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Lindner aber befürchtete zu große Kompromisse und wollte das Profil seiner eben erst wiederbelebten Partei nicht in Teilen schwarz und grün lackieren lassen. Vor allem aber wollte er offenkundig kein zweites Mal in die Fänge von Kanzlerin Angela Merkel geraten. Zum einen, weil Merkel die FDP schon einmal kleinregiert hat. Zum anderen, weil er unbedingt vermeiden muss, dass die Abendröte ihrer Amtszeit auf die FDP abstrahlt, die nach dem Erfolg bei der Bundestagswahl ja gerade erst wieder Morgenluft wittert.

Er hat die Verantwortung der SPD für die Füsse gekippt

Merkel ist für Lindner Geschichte. Er will der zuverlässig verwaltenden, aber wenig gestaltenden, kaum erklärenden Kanzlerin einen pointierten, diskussionsfreudigen Politikstil entgegen setzen. Ein ehrenwertes Ziel, aber in dieser Logik durfte eine weitere Koalition mit ihr eigentlich gar nicht mehr gelingen. Lindner hat stattdessen die FDP von Merkel abgesetzt. Er hat die Verantwortung der weidwunden, regierungsmüden SPD vor die Füße gekippt, bereit, den Preis zu zahlen, als Feigling gescholten zu werden. Eine mürrische große Koalition, die kaum einer will, könnte das Ergebnis sein. Lindner trägt dafür Verantwortung, wenn auch gewiss nicht allein. Eine schwere Last. Denn der Ermüdungsbruch, den die Demokratie in Deutschland durch ein erneutes Bündnis der verzwergten Riesen erleiden könnte, würde einzig und allein die Ränder links wie rechts stärken. Über den erstaunlichen Zuspruch bei AfD-Wählern, gespeist aus seiner harten Haltung in der Flüchtlingspolitik und seinen Absetzbewegungen gegenüber Merkel, sollte Lindner deshalb nicht jubeln. Denn deren Applaus liefert jenen Munition, die ihm selbst einen strammen Rechtsdrall unterstellen. Die Warnung der Bürgerrechtsikone Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, die FDP dürfe nicht zu einem „rechten Bollwerk kurz vor der AfD“ verkommen, muss ihm zu denken geben.

Lindner muss zeigen, dass er kein Spieler ist

Nach vier Jahren in der außerparlamentarischen Opposition, in denen Lindner fast im Alleingang die Partei wie Phoenix aus der Asche steigen ließ und durch einen optimistischen Auftritt sowie thematische Vielfalt in fast allen politischen Lagern Neugier entfachte, ist die FDP zwar wieder im Bundestag. Aber in Teilen der Bevölkerung ist die Sympathie für den mutigen Überlebenskampf der Freien Demokraten nach dem Jamaika-Aus wieder alter Skepsis gewichen. Lindner wird in diesem Jahr deshalb beweisen müssen, dass er keineswegs, wie es ihm die politische Konkurrenz jetzt unterstellt, taktische Raffinesse übers Staatswohl stellt. Er muss zeigen, dass er eben kein Spieler ist und mehr zu bieten hat als Talent im Überfluss.

Der Gegenwind wird beträchtlich sein, der Glanz des Comebacks ist verflogen. Innerparteilich wird Lindner auch nicht mehr mit jener Geschlossenheit rechnen können, auf die er lange zählen konnte. Als die Partei am Boden war und Lindner das einzig helle Licht am düsteren Firmament, war Gefolgschaft leicht einzufordern. Jetzt sitzen 80 Abgeordnete im Bundestag, die zwar Lindner ihr aktuelles Auskommen verdanken, die aber zwecks Karriereplanung schnell eine eigene Agenda entwickeln werden. Der Wiedereinzug in den Bundestag mag deshalb zwar ein strategisches Meisterstück des gerade mal 38 Jahre alten Politikers gewesen sein, aber Lindners Reifeprüfung war das noch nicht. Die steht ihm in diesem Jahr bevor.