Zwei Weltklassekeeper im Fokus: Manuel Neuer (li.) und Marc-André ter Stegen Foto: imago//Frank Hoermann

Das Champions-League-Viertelfinale zwischen dem FC Barcelona und dem FC Bayern in Lissabon ist auch das Duell der deutschen Weltklassetorhüter: Marc-André ter Stegen trifft auf Manuel Neuer. Wer ist besser?

Stuttgart/Lissabon - Die einfachste Frage vor dem großen deutschen Torhüterduell in der Champions League an diesem Freitag in Lissabon ist auch die schwierigste: Wer ist besser – Manuel Neuer oder Marc-André ter Stegen? Timo Hildebrand überlegt lange und muss irgendwann schmunzeln: „Schwierig“, sagt der ehemalige Keeper des VfB Stuttgart. „Ganz ehrlich – ich weiß es nicht.“

So oder so ähnlich geht es den meisten Experten vor dem direkten Aufeinandertreffen der Konkurrenten um die Nummer eins im Tor der Nationalelf. Immerhin, Timo Hildebrand, der 2007 mit dem VfB deutscher Meister wurde und ein Jahr zuvor im WM-Kader der deutschen Elf gestanden hatte, legt sich dann doch fest vor dem großen Viertelfinale in der Königsklasse zwischen Neuers FC Bayern München und ter Stegens FC Barcelona (21 Uhr): „Manuel hat vielleicht einen Tick mehr Erfahrung, was die ganz großen Spiele angeht“, sagt er. Das sei es aber auch schon gewesen.

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Fakt ist: Es treffen im Stadion des Lichts nicht nur zwei große Clubs aufeinander, sondern auch zwei große Torhüter. Neuer und ter Stegen, das sind zwei Riesen ihrer Branche, das ist in bester deutscher Tradition Weltklasse zwischen den Pfosten. Und das ist auch: ein brisantes Duell. Denn es geht in Portugals Hauptstadt auch ein bisschen um die Vorherrschaft im Tor der Nationalelf.

Neuers Kampfansage

Seitdem ter Stegen im Spätsommer 2019 seine Ambitionen auf die Nummer eins bekundete, ist das Verhältnis mit Neuer zumindest angespannt. Die Woche mit der Nationalelf sei „ein harter Schlag“ für ihn gewesen, hatte ter Stegen damals gesagt, nachdem er in zwei Partien nur auf der Bank gesessen hatte. Neuer konterte mit dem Verweis auf den Teamgeist, und ter Stegen konterte wiederum durch die Aussage, dass er sich in Sachen Teamgeist – mit Blick auf die vielen Jahre als Nummer zwei – nichts vorzuhalten habe.

Die jüngste Ansage aus dem Kreis der Nationalelf dürfte ter Stegen nun nicht gefallen haben. Er sei zwar „ein spektakulärer Kerl und beeindruckender Torhüter“, sagte DFB-Direktor Oliver Bierhoff, Marc müsse aber weiter „geduldig sein, auch wenn dies für ihn hart ist“. Neuer selbst setzte dann noch einen drauf, als er kürzlich in einem Interview mit dem Magazin „11 Freunde“ sagte: „Welcher Trainer würde Spieler aufstellen, die nicht die besten sind? Und ich bin der Überzeugung, dass ich der Beste bin.“

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Diplomatischer gibt sich da in der Regel der Mann, der die Sache mit der Nummer eins entscheiden muss. So teilte Joachim Löw die vier Länderspiele nach der Klage ter Stegens im Herbst 2019 mit jeweils zweien für Neuer und zweien für ter Stegen in der Startelf auf. Doch von seiner grundsätzlichen Rangfolge rückte der Bundestrainer nicht ab. Neuer wäre aller Wahrscheinlichkeit nach die Nummer eins bei der Europameisterschaft 2020 gewesen. Nach der Verschiebung in den Sommer 2021 hat sich daran nichts geändert. Marc-André ter Stegen (28) bleibt der Herausforderer des sechs Jahre älteren Platzhirschs Neuer.

Löws umstrittene Entscheidung

Das war auch rund um die WM 2018 in Russland so, als Neuer nach langer Verletzungspause vor dem Turnier kein Pflichtspiel bestritten hatte und gerade noch rechtzeitig fit wurde – und Löw auf ihn setzte und nicht auf ter Stegen, der eine überragende Saison beim FC Barcelona hinter sich hatte. Es war eine umstrittene Entscheidung des Bundestrainers, der damit nach der Meinung vieler Experten das Leistungsprinzip außer Kraft setzte.

Manuel Neuer aber arbeitete sich in den vergangenen beiden Jahren zurück auf sein Weltklasseniveau – aktuell macht der Keeper des FC Bayern sogar den Eindruck, dass er in der Form seines Lebens ist. Neuer verfeinerte seine Stärken – Reflexe, Strafraumbeherrschung, Passspiel, mutiges Herauslaufen bei langen Bällen – weiter. Kürzlich verlängerte er seinen Vertrag beim FC Bayern bis 2023, und obwohl er zunächst auf eine längere Laufzeit gedrungen hatte, ist er beim Rekordmeister längst eine Institution und als Kapitän eine anerkannte Führungsfigur. Klar ist: Ans Aufhören denkt Neuer noch lange nicht – was die Sache für ter Stegen in der Nationalelf nicht einfacher macht.

Das Lob des Superstars

Dabei hat der Keeper des FC Barcelona ja längst große Argumente auf seiner Seite. Da sind zum einen, klar, seine konstanten Leistungen auf Weltklasseniveau. Da sind seine famosen Reflexe auf der Linie, seine Gelassenheit und die ruhige Körpersprache, die die Gegner in Eins-gegen-eins-Situationen zur Verzweiflung bringen. Da sind auch die fußballerischen Qualitäten des gebürtigen Mönchengladbachers, über den ein gewisser Lionel Messi mal sagte, dass er mehr Gefühl im Fuß habe als er selbst.

Da ist zum anderen aber auch der Stellenwert, den sich ter Stegen über die Jahre beim FC Barcelona erarbeitet hat. Der Keeper gilt als Barças Führungsspieler Nummer zwei hinter dem Superstar Messi – was Timo Hildebrand zu einer ultimativen Lobhudelei führt: „Ich will mal eine Lanze für Marc brechen“, sagt der ehemalige VfB-Torhüter: „Sich bei so einem großen Weltclub im Ausland mit so einem unruhigen Umfeld zu einem anerkannten Führungsspieler zu entwickeln, das kann man gar nicht hoch genug bewerten – das ist der absolute Wahnsinn.“