Kristin Göpfert und Ulf Deutscher in „Doctor Faustus“ Foto: WLB/Patrick Pfeiffer

Wie ernst sollte man Goethe nehmen? Die Württembergische Landesbühne Esslingen inszeniert „Faust II“ als eine Art „Rocky Horror Picture Show“.

Esslingen - Man hat diesen Herrn schon vor Beginn der Vorstellung gesehen, im Publikum, ungewöhnlich gekleidet, verdächtig theatralisch. Nun wundert man sich nicht, als er durch die Seitentür den Saal betritt und auf die Bühne steigt. Er stellt sich vor als Professor Mathias Eckermann, Nachfahre von Johann Peter Eckermann, dem Freund des späten Goethe.

Auch der zweite Eckermann ist ein gelehrter Dichter, sehr darum bemüht, den Einfluss seines Ahnen auf den großen Goethe herauszustellen. Er zieht ein Bändchen aus der Tasche, einen Dachbodenfund, verfasst angeblich von diesem Ahnen, ein Schlüssel zu „Faust II“. Nach der Vorstellung will er das Buch im Foyer der Landesbühne verkaufen: „Selbstverlag, für 39 Euro!“

Im zweiten Teil der Tragödie besucht Faust die Walpurgisnacht, heiratet Helena, zeugt mit ihr einen Sohn, wird zum Unternehmer von zweifelhafter Moral und zuletzt doch erlöst, weil es das ewig Weibliche ist, das ihn hinan zieht. Goethes Spätwerk ist bekannt als schwer beladen und schwer umsetzbar; Inszenierungen des Stoffs erstreckten sich meist über viele Stunden.

Zur klassischen Walpurgisnacht geht es natürlich ins Bordell

Martin Lingnau, der gemeinsam mit Wolfgang Adenberg die Esslinger Fassung schrieb, und Marcel Keller, ihr Regisseur, haben große Teile des Textes gestrichen und durch Pop-Songs ersetzt. Geblieben sind nur die wirkungsvollsten Zitate, hinzu kommen kurze Einfälle von Monty Python und aus dem Lande Oz. Katrin Busching schuf fantastische Kostüme für Hofstaat, Hexen, König und Homunculus; auch eine Gottesanbeterin und ein Menschenaffe treten auf. Mephisto heißt nun sehr kurz Fizz; Ulf Deutscher spielt ihn als einen Schausteller mit stark osteuropäischem Akzent, trägt schwarzweiß karierte Beinkleider zu seinen knallroten Lackschuhen und verfolgt den Faust mit diabolischer Heiterkeit.

Aus Faust wird Dr. Johnny Faustus, Tänzerinnen wirbeln aufreizend um ihn her. Zur klassischen Walpurgisnacht geht es natürlich ins Bordell; die Helden reiten reichlich unkeusch ihre Besen. Über der Bühne, auf der all diese Wunder geschehen, steht in großer, geschwungener Schrift: „Doctor Faustus’ Magical Circus Part II“ – und gesungen wird natürlich stets auf Englisch. Kurz: Aus dem Welttheater wird Varieté, man wähnt sich im Friedrichsbau. Und es gibt auch Werbeblöcke: In düsteren Gewölben verkauft Mephisto zwischendurch der heillos schrubbenden Lady Macbeth ein Wundermittel gegen die Blutflecken auf dem Gestein. Jesus, beim Abendmahl, hat schließlich selbst genug vom trocken Brot; Judas stiehlt sich davon, geht Döner holen.

Dieser „Faust II“ will eine Art „Rocky Horror Picture Show“ sein und ist es es auch, sehr unterhaltsam, frei von jedem Anspruch – und überfordert sein Publikum dennoch. Dankbar darf der Zuschauer sein für das Programmheft, das die Handlung des Originalstückes knapp zusammenfasst und einen kleinen Überblick gibt über die unzähligen Gestalten, die über die Bühne hasten.

Die Handlung läuft im Zeitraffer

Christian A. Koch als Eckermann, Ulf Deutscher als Fizz und Oliver Moumouris als Faustus sind die einzigen, die hier nur eine Figur verkörpern - sieben weitere Schauspieler und vier Tänzerinnen spielen jeweils mindestens sechs Charaktere zugleich. Die Handlung läuft im Zeitraffer, Prof. Mathias Eckerman stolpert immer wieder auf die Bühne und will das Chaos klären - Mephisto knirscht mit den Zähnen und möchte ihn dafür würgen. Schließlich wird der Gelehrte geknebelt, herumgestoßen und zur Ader gelassen: Sehr unfreiwillig unterschreibt er seinen eigenen Pakt mit dem Teufel.

Verehrer Goethes seien vor dem Esslinger Faust gewarnt. Das Zielpublikum dieser Inszenierung bringt zur nächsten Vorstellung möglicherweise Popcorn mit und hat seinen unheiligen Spaß mit dem Klassiker.

Weitere Termine: 30.9. sowie 8., 14., 15. und 26. 10, Karten unter 07 11 / 35 12 30 44