Die VfB-Fans in der Cannstatter Kurve werden am Samstag 45 Minuten schweigen, um für ihre Sache zu protestieren. Foto: Pressefoto Baumann

Gegen den FC Augsburg wird die VfB-Kurve schweigen, was aber nichts mit dem Team zu tun hat. Man beteiligt sich an einer bundesweiten Protestaktion, um auf Faninteressen nachhaltig aufmerksam zu machen.

Stuttgart - 45 Minuten lang Schweigen. Wenn der VfB Stuttgart am Samstag (15.30 Uhr) den FC Augsburg empfängt, erreicht der Fanprotest eine neue Dimension. Eine komplette Halbzeit lang wollen die aktiven Szenen auf Support verzichten und damit ein Zeichen gegen die kommerziellen Auswüchse des Fußballs setzen. Deutlicher, als sie es in der Vergangenheit getan haben. Bislang äußerten die Anhänger ihren Unmut über zerstückelte Anstoßzeiten oder das Aufweichen der 50+1-Regel über Spruchbänder oder einen kurzen Stimmungsboykott. 45 Minuten lang kein Gesang, keine Anfeuerungsrufe – das ist ein Novum.

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„Die jüngsten Veröffentlichungen zu Super-League-Plänen und anderen geheimen Deals (. . .) sollten auch den letzten Zweiflern vor Augen geführt haben: Die heutige Fußballwelt hat mit Werten wie Fairness und Solidarität rein gar nichts mehr zu tun“, schreiben die bundesweiten Fanszenen in einem vor dem 13. Spieltag veröffentlichten Positionspapier. Aufhänger des Massenprotests ist das erste Montagsspiel dieser Saison zwischen dem 1. FC Nürnberg und Bayer Leverkusen.

Positionspapier der deutschen Fanszenen

Spiele am ungeliebten Montagabend sind für die Stimmungsmacher in den Kurven die Hauptzielscheibe ihrer Kritik. Daran ändert auch die Ankündigung der Deutschen Fußball Liga (DFL) nichts, bei der Ausschreibung des künftigen Fernsehvertrags ab 2021 keine Montagsspiele in der Bundesliga mehr zu verankern. „Es geht ja grundsätzlich um Spiele unter der Woche“, sagt Jochen Grotepaß vom Fanbündnis Unsere Kurve.

An dem Positionspapier haben auch die Stuttgarter Ultra-Gruppierungen Commando Cannstatt und Schwabensturm mitgewirkt. Sie begreifen ihre Aktion als eine Art Streik. Auf keinen Fall wollen sie den Eindruck erwecken, ihre Mannschaft in dieser schwierigen Situation im Stich zu lassen. Zur zweiten Halbzeit wollen sie die Kurve wieder zum Leben erwecken.

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„Es gibt gute Gründe für diese Aktion. Da habe ich vollstes Verständnis“, sagt der VfB-Trainer Markus Weinzierl: „Allerdings passt es zu unserer aktuellen Situation, dass der bundesweite Boykott bei uns auf ein Heimspiel fällt.“ Schließlich sei der Support von den Rängen für seine Spieler ganz wichtig.

Grundsätzlich drängen die Ultras auch auf die Abschaffung englischer Wochen. Mit Blick auf die Winter-WM 2022 in Katar fürchten sie einen starken Anstieg von Ansetzungen unter der Woche. Die DFL hat die Stimmungslage zum Thema Montagsspiele unter den Erst- und Zweitligisten erst kürzlich abgeklopft – und sich schließlich zu einem Verzicht ab der Spielzeit 2021/22 entschieden. Einigkeit in der Liga herrscht deshalb aber keineswegs.

Bundesliga-Manager mahnen

„Sich bei der ersten Kritik aus der Verantwortung zu stehlen, empfinde ich als unsolidarisch“, erinnert Mönchengladbachs Manager Max Eberl an die Idee, Montagsspiele zur Entlastung der Europacupteams einzuführen (was viele Fans nur als vorgeschoben empfanden). Wolfsburgs Manager Jörg Schmadtke kann den Unmut gut verstehen: „Wie nah wir mit dem Profifußball noch an der Basis sind, ist eine berechtigte Frage. Wir entfernen uns scheinbar immer mehr.“

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Die Stimmungsmacher in den Kurven betrachten sich als Kulturgut, als Pfund, mit dem die Bundesliga im internationalen Vergleich wuchern kann. Das kann man so sehen. Bisweilen erweisen sie ihren Clubs aber auch einen Bärendienst: 40 000 Euro musste der VfB für das Abfackeln von Pyrotechnik durch Fans beim Auswärtsspiel in Hoffenheim berappen, auf rund 60 000 Euro belaufen sich die Strafzahlungen für die gesamte Saison. Nur Borussia Dortmund musste für die Verfehlungen seiner Anhänger noch tiefer in die Tasche greifen. „Das Thema Pyrotechnik ist zwischen Fanszenen, Vereinen und DFB nicht zufriedenstellend gelöst“, sagt ein VfB-Sprecher, der die Diskussion ansonsten nicht öffentlich führen möchte.

Dass den Vereinen die Bedürfnisse ihrer Anhänger gänzlich egal sind – wie unterschwellig gerne behauptet wird – ist jedoch nur ein Teil der Wahrheit. Der VfB kehrte auf Wunsch der Basis zum alten Wappen zurück, jetzt signalisiert der FC Bayern München Entgegenkommen. Auf Drängen seiner Fans laufen die Münchner künftig wieder in traditionellen rot-weißen Heimtrikots auf.