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Familie des belgischen Scheinkoma-Patienten Rom Houben hat 23 Jahre lang gegen die falsche Diagnose gekämpft.

Brüssel - Die Szene dauert nur anderthalb Minuten. Rom Houben sitzt in einem Rollstuhl, den Kopf hält er leicht zur Seite geneigt, sein Mund ist geöffnet, der Blick sehr wach. Er wird in einem Raum geschoben, eine Pflegerin nimmt seine rechte Hand, stützt seinen Arm, während Houben seinen Finger langsam über einen kleine Bildschirmtastatur bewegt. "Ohnmacht, reine Ohnmacht", tippt er Buchstabe für Buchstabe. Und: "Am Anfang war ich wütend, dann habe ich gelernt, damit zu leben."

Der belgische Fernsehsender RTBF war der einzige, der den 46-Jährigen filmen und kurz mit ihm sprechen durfte. Seit bekannt wurde, dass Rom Houben die Hälfte seines Lebens im Scheinkoma lag, steht im Pflegeheim von Zolder das Telefon nicht mehr still. Die ganze Welt sucht Antworten auf die Frage, warum ein Mensch 23 Jahre lang zum Schweigen verdammt und als Wachkoma-Patient behandelt werden konnte - obwohl er die ganze Zeit bei vollem Bewusstsein war.

Houben, Ingenieurstudent und Kampfsportler, war Anfang der 80er Jahre bei einem Autounfall verunglückt. Weil er keine Reaktionen mehr zeigte, hatten ihn die Mediziner als Wachkoma-Patient der hoffnungslosen Art eingestuft. Ohne die Hilfe seiner Familie wäre der Irrtum wohl nie aufgedeckt worden. "Wir waren immer überzeugt, dass er uns versteht", sagt seine Mutter Fina Houben in einem Interview. Wenn sie ihren Sohn bat: "Öffne die Hand", habe er sie geöffnet, es habe immer kleine Reaktionen gegeben, erzählt sie.

Fünfmal flog Fina Houben mit ihrem Sohn zu Experten in die USA. "Der Input ist in Ordnung, aber wir müssen den Output finden", erklärten die Ärzte. Weitere Recherchen führten die Mutter schließlich zu dem belgischen Neurologen Steven Laureys, einem der weltweit führenden Experten in der Komaforschung. Als dieser den Patienten in einen Computertomografen schob, sah er, dass sein Großhirn weitgehend unversehrt war. "Vor mehr als 20 Jahren gab es noch gar nicht die technischen Möglichkeiten, um solche präzisen Diagnosen zu stellen", erklärt Audrey Vanhaudenhuyse, Neuropsychologin im Laureys-Team die späte Erkenntnis.

Inzwischen weiß man, dass Houben unter dem sogenannten Locked-in-Syndrom leidet. Er kann weder sprechen noch sich bewegen, aber er kann denken. Nach intensivem Training tippt er nun schon vollständige Sätze in seinen Sprachcomputer. "Mein Geist funktionierte weiter", schreibt er zum Beispiel.

Es gibt wenig Hoffnung, dass sich Houbens Zustand weiter verbessert. "Er wird niemals wieder gehen können, aber das erwartet er auch gar nicht", so Vanhaudenhuyse. Es sei bereits ein großer Fortschritt, wenn Houben seinen kleinen Finger bewegen könne. "Er hat keine Erinnerungslücken, sein Gehirn funktioniert weitgehend normal. Darauf können wir aufbauen."

Fina Houben kämpft ohnehin weiter. "Wir werden weitersuchen - so wie wir das seit mehr als 20 Jahren machen."