Der 7. Senat des Bundesverwaltungsgerichts unter dem Vorsitz von Andreas Korbmacher (Mitte) hat sein Urteil gesprochen. Foto: AP

Die Deutsche Umwelthilfe sieht sich mit dem Grundsatzurteil der Leipziger Richter am Ziel, warnt aber die Landesregierung vor einer Verzögerung der Fahrverbote.

Stuttgart - Wer von Stuttgart nach Leipzig fährt, passiert auf der linken Spur einen gefühlt unendlichen Treck von Lastwagen und Kleintransportern. Sie haben ältere, aber auch viele noch frisch wirkende Fahrzeuge geschultert. Was hier nicht mehr rollen soll, hat im Osten noch eine bewegte Zukunft vor sich.

Mit dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts von Dienstag zu Dieselfahrverboten in mit Stickoxiden hochbelasteten Städten dürfte der Treck anschwellen. Selbst jüngeren Euro-5-Dieselmodellen droht zumindest in Stuttgart das Aus. Andere Städte mit Luftproblemen könnten folgen.

Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) hat sich mit ihrem Klagemarathon für saubere Luft durchgesetzt. Und das in einer Weise, die DUH-Vormann Jürgen Resch am Dienstag in dem vollständig mit edler Eiche ausgeschlagenen Saal doch kurz überrascht. „Ich bin erleichtert, jetzt ist eine Riesenlast weg“, sagt der 57-Jährige, der seit 31 Jahren bei der DUH arbeitet und sich immer wieder angefeindet sah. Der Marathon, den der Bundesgeschäftsführer seit 2013 mit eigenem Klagerecht für die Umweltorganisation durchzieht, ging an die Substanz. „Die wollen uns fertigmachen“, sagte Resch vergangene Woche stark erkältet am Rande der Leipziger Verhandlung über die Autoindustrie. Nun ist in seinem Sinne entschieden worden. „Die Geschichte um Stickstoffdioxid ist seit 2007 ein Drama, die Grenzwertüberschreitungen in den Städten sind enorm, die Politik hat sich von der Industrie fernsteuern lassen“, ist Resch, im Saal umringt von Fernsehteams, nach einer Mini-Denkpause schnell wieder ganz in seinem Element. „Das sind Momente, in denen ich an den Rechtsstaat glaube, sensationell“, atmet er hörbar auf.

DUH: Schallende Ohrfeige für Merkel

Die 7. Kammer habe der Bundesregierung und den Vorstandschefs der Autokonzerne eine schallende Ohrfeige erteilt. Kanzlerin Angela Merkel müsse sich nun endlich aus dem Würgegriff dieser Konzerne befreien. Reschs Rat: Die Hersteller sollten entweder nachrüsten oder aber die Euro-5-Diesel zurückkaufen. „Die Nachrüstlösungen liegen für mindestens 50 Prozent der Fahrzeuge in der Schublade“, ist er sich sicher.

Von dem vom Gericht geforderten stufenweisen Fahrverbot werden allein in Stuttgart zunächst 28 444 Diesel der Schadstoffstufe Euro 4 und geringer (Stand: Januar 2018) und 22 903 Benziner mit Euro 1 und Euro 2 betroffen sein. In der Region sind es grob geschätzt weitere rund 103 000 Diesel bis Euro 4. Die zweite Stufe, das Fahrverbot für Diesel mit Euro 5, würde aktuell in Stuttgart 30 374 Autobesitzer treffen.

„Zur Herstellung der Verhältnismäßigkeit“, so das Gericht, müsse das Land eine Frist wahren. Aus Sicht der betroffenen Autobesitzer ist diese kurz gesetzt: Dieselfahrzeuge der Euronorm 5 dürfen nicht vor dem 1. September 2019 aus der Umweltzone ausgeschlossen werden. Die jüngsten Fahrzeuge sind dann erst vier Jahre alt. Bei Einführung der Grünen Plakette waren es immerhin sechs Jahre, und es gab eine vom Staat geförderte Filternachrüstung.

Mit der Frist hat der Revisionssenat das Land vor Entschädigungsklagen der Halter geschützt. Ob der Termin in den Luftreinhalteplan geschrieben wird, entscheidet die grün-schwarze Regierung. Bisher war 2020 als D-Day für den Euro-5-Diesel vorgesehen. „Wir werden es nicht akzeptieren, wenn Städte den Termin September 2019 um weitere Monate hinauszögern“, warnt Resch, „dann sind wir gleich wieder da.“ Er hoffe aber, „dass wir uns jetzt nicht mehr im Juristischen bewegen, sondern es um Nachrüstung geht“.

Die Händler sind in der Bredouille

Die Hoffnung teilt der Geschäftsführer der Kraftfahrzeuginnung Region Stuttgart, Christian Reher. Durch den Termin 1. September 2019 entspanne sich die Lage etwas. „Das bringt Zeit für die Nachrüstung und die Flottenerneuerung, um die Schadstoffwerte weiter zu senken.“ Fahrverbote könnten am Ende doch noch überflüssig werden, hofft Reher. Die Berechnungen von Experten im Auftrag des Landes für den Luftreinhalteplan sprechen dagegen. Am Neckartor lag das Jahresmittel für Stickstoffdioxid im Jahr 2017 bei 73 Mikrogramm, zulässig sind 40. Nur ein Fahrverbot für Diesel bis einschließlich Euro 5 könne das Jahresmittel an den Grenzwert drücken, so die Experten.Wer ein Auto finanziert habe und durch Fahrverbote in die Bredouille komme, sollte seinen Vertrag prüfen, rät die Kanzlei Lehnen & Sinnig aus Trier. Kreditverträge der VW-Bank seien nach einem Urteil des Landgerichts München I rechtsfehlerhaft. „Sie können unbeschränkt widerrufen werden“, sagt Anwalt Christof Lehnen. Praktisch alle Autobanken und Leasinggeber belehrten nicht ordnungsgemäß über das Widerrufsrecht. Wer sich durchsetze, könne den Kauf rückabwickeln. Dann gebe man den wertlosen Diesel zurück. „Bei drohenden Fahrverboten in 70 Städten ein geschickter Ausweg“, so Lehnen.

Diesel stehen 102 Tage

Bei den Innungsbetrieben stünden Diesel bis zum Verkauf im Schnitt 102 Tage, berichtet Reher. Die Händler müssten sehen, wie sie über die Runden kommen. „Eine Welle von Leasingrückläufern ist da, die werden abgepreist, gehen vielleicht nach Tschechien, die Händler zahlen die Zeche“, so der Geschäftsführer. In einer Umfrage nach dem Verbleib von Euro-5-Dieseln sagten 64 Prozent der Händler am Dienstag, die Autos gingen an Aufkäufer und in den Export. – Nachschub für die Karawane Richtung Osten.