Das autonome Auto wird einen Schweif von Daten hinter sich herziehen Foto:  

Wird die Fahrzeugindustrie gefragt, wann das Auto von alleine fährt, wiegelt sie gern ab – die Technik von morgen soll nicht die Verkäufe von heute gefährden. Doch das Land stellt sich bereits auf das autonome Auto ein. Bei einer Tagung des Justizministeriums diskutierten 60 Experten über die Lage.

Stuttgart - Was versteht man unter automatisiertem Fahren?
Darunter versteht man, dass das Fahrzeug ganz oder teilweise Tätigkeiten übernimmt, die bisher dem Fahrer vorbehalten waren. Die Einführung wird über viele Jahre in Stufen erfolgen. Schon heute gibt es etwa Einpark-, Abstands- und Bremsassistenten. Solche Systeme werden immer mehr Funktionen übernehmen können, bis sie schließlich das Auto von alleine fahren.
Wie wird das automatisierte Fahren eingeführt?
Zeitpläne gibt es noch nicht, eine Reihenfolge schon. Als Erstes wird das automatisierte Fahren auf der Autobahn möglich sein. Dort gibt es keinen Querverkehr und keine Begegnung mit Fußgängern oder Radfahrern, die die Anforderungen an die Technik wesentlich erhöhen. Hier ist die Technik bereits sehr weit; mit modernen Kameras und Sensoren lässt sich das Verkehrsgeschehen auf und jenseits der Straße bereits sehr gut erkennen und deuten. Doch der Anspruch für den Einsatz in der Breite ist die Fehlerfreiheit. Bis dieser Anspruch erfüllt ist, wird es noch einige Jahre dauern. Erfahrungsgemäß dämpft die Industrie aber ohnehin die Erwartungen an eine schnelle Einführung von Neuerungen – um zu vermeiden, dass die Erwartung bahnbrechender Neuerungen zur Kaufzurückhaltung führt.
Wird das automatisierte Auto einmal zur Pflicht werden?
In der Industrie besteht weitgehend Einigkeit darin, das automatisierte Fahren auch in der Endstufe nicht zur Pflicht zu machen, sondern als Möglichkeit offen zu halten. Es ist allerdings denkbar, automatisierte Zonen ähnlich den heutigen Umweltzonen auszuweisen. Dort – und vielleicht auch auf einigen Autobahnen – dürfen dann nur noch selbst fahrende Autos verkehren. Das kann Staus vermeiden, weil selbst fahrende, untereinander vernetzte Autos beim Bremsen keine Reaktionszeit benötigen und mit viel geringerem Abstand hintereinander fahren können. Dadurch steigt die Kapazität der Verkehrswege stark an.
Wollen sich die Menschen überhaupt das Autofahren abnehmen lassen?
Nach den heutigen Erkenntnissen gibt es eine Reihe von Zielgruppen, für die ein selbst fahrendes Auto attraktiv wäre. Pendler etwa könnten die Fahrt zwischen Wohnung und Büro zum Arbeiten nutzen – auch im Stau. Ein voll automatisiertes Auto könnte zudem auch von Menschen ohne Führerschein benutzt werden – so könnten Eltern ihre Kinder zum Fußballtraining schicken, ohne selbst Chauffeur spielen zu müssen. Auch ist es dann möglich, beim Ausgehen Alkohol zu trinken, ohne die Fahrerlaubnis zu riskieren. Ebenso wird das Teilen von Autos attraktiver, weil man sich dann nicht zu Fuß zu einem womöglich weit entfernten Carsharing-Fahrzeug begeben muss, sondern das Fahrzeug gewissermaßen zu sich herbeirufen kann.
Wer haftet bei einem Unfall?
„Die Haftung wird in Richtung Hersteller verschoben“, sagte Justizminister Rainer Stickelberger bei einer Tagung seines Ministeriums in Triberg, bei der sich rund 60 Rechts- und Autoexperten austauschten. Möglicherweise werde sogar die Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung überflüssig werden. Die Unfallursache „menschliches Versagen“ werde stark zurückgehen, dafür werde der Anteil Unfallursache „Produktmangel“ steigen. Da rund 90 Prozent aller Verkehrsunfälle auf menschliches Versagen zurückzuführen sind, erwarten Branchenexperten insgesamt allerdings einen starken Rückgang der Unfallzahlen. Unfälle allerdings wird es auch weiter geben – das Kind, das unmittelbar vor das Auto läuft, kann auch von einem automatisierten Fahrzeug angefahren werden. Wegen der sofortigen Reaktion ohne Schrecksekunde sind die Verletzungen aber möglicherweise geringer.
Was passiert mit all den Daten, die beim selbst fahrenden Auto anfallen?
Ein autonomes Fahrzeug orientiert sich nicht nur mit Kameras, Ultraschall- und Radarsensoren über die unmittelbare Umgebung, sondern muss auch ständig seinen Standort ermitteln. Es fallen also in großer Menge sensible Daten an, die im Prinzip die Erstellung eines Bewegungsprofils von Fahrzeug und Insassen ermöglichen. Solche Daten werden – wenn auch auf freiwilliger Basis – schon heute genutzt, um etwa den Nutzern von Navigationsgeräten Stau-Informationen in Echtzeit zur Verfügung zu stellen. Für diesen Zweck werden Position und Geschwindigkeit vieler Fahrzeuge erfasst und ausgewertet: Wo viele Autos langsam fahren, ist ein Stau, wo sie stark bremsen eine Gefahrenstelle. Die Bereitstellung der Daten ist zwar freiwillig – doch nur wer selbst seine Daten freigibt, bekommt auch die ausgewerteten Informationen der anderen Fahrer und kann dem Stau ausweichen.
Können diese Daten auch kommerziell genutzt werden?
Für Werbetreibende sind Positionsdaten sehr interessant – sie zeigen nicht nur, wo sich jemand gerade aufhält, sondern gibt auch Hinweise auf Lebensgewohnheiten, die gut genutzt werden: Wo lebt und arbeitet jemand? Wo kauft er ein? Auch Werbung in Echtzeit wird mit der Datenerhebung möglich – ein Fahrer, der bei Google nach Möbeln gesucht hat, könnte auf der Fahrt ein nur wenige Minuten gültiges Angebot eines Möbelhauses erhalten, in dessen Nähe er sich gerade befindet. Google selbst versteigert schon heute in Sekundenbruchteilen Suchbegriffe an Werbetreibende, deren Angebote dann interessierten Suchmaschinen-Nutzern auffällig präsentiert werden. Die mobile Echtzeit-Werbung ist die Fortsetzung eines längst bestehenden Geschäftsmodells.
Warum interessieren sich auch Versicherungen für die Daten?
Solange die Autos nicht komplett selbstständig fahren, haben die Versicherungen ein starkes Interesse, die Tarife an der Fahrweise auszurichten und risikoarme Fahrer mit niedrigen Prämien zu gewinnen. Mittels Telematik lassen sich nicht nur Geschwindigkeitsübertretungen, sondern auch Daten über rasant genommene Kurven, scharfe Bremsmanöver und Kavalierstarts erfassen – und im persönlichen Tarif berücksichtigen. Die Datenweitergabe ist besonders attraktiv für gute Fahrer, während sich schlechte Fahrer im allgemeinen Tarif sammeln, der dadurch teurer wird. Wer seine Daten nicht weitergeben will, muss dafür also einen Preis zahlen.
Was können Behörden mit den Bewegungsdaten anfangen?
Werden die Bewegungsdaten etwa auf dem Bordcomputer oder gar auf einem zentralen Rechner gespeichert, können die Behörden ein meter- und minutengenaues Bewegungsprofil anlegen. „Das wäre etwa bei der Verfolgung von Drogendelikten höchst hilfreich“, sagt Justizminister Stickelberger. Auch sei es viel einfacher, Alibis zu überprüfen, weil sich in vielen Fällen feststellen lässt, wer sich wann wo aufgehalten hat. Stickelberger mahnt aber zugleich, dass die Regeln angesichts der Datenfülle neu justiert werden müssten. „Das autonome Fahren darf den Datenschutz nicht überrollen.“
Können sich Menschen der Datenerhebung im Straßenverkehr überhaupt noch entziehen?
Nein. In gut zwei Jahren wird in der EU die Vorschrift zum sogenannten E-Call in Kraft treten. Dann hat jedes neue Auto ein Gerät, das automatisch seine genaue Position ermittelt und meldet – bisher nur im Notfall. „Diese Daten können natürlich auch für andere Zwecke als für die Rettung verwendet werden“, mahnt Stickelberger. Allerdings warnt er auch vor allzu viel Argwohn gegenüber der neuen Technik: „Wird der E-Call nur für die Rettung verwendet, sammelt er weniger Bewegungsdaten als ein Smartphone, das viele ohnehin im Auto dabei haben.“