Selbst gut gesicherte Räder sind in Tübingen von einer Profibande gestohlen und mit Lastwagen abtransportiert worden. Foto: dpa

Systematisch sind in Tübingen Fahrräder gestohlen und lastwagenweise zum Verkauf nach Bosnien gebracht worden. Die Polizei hat nun die mutmaßlichen Täter gefasst. Doch viel häufiger verschwinden Räder spurlos ins Ausland.

Tübingen - Die Täter kamen in einem dunklen Kleintransporter, hatten Bolzenschneider dabei und stahlen auf Bestellung. Ihre Beute: hochwertige Fahrräder, deren Schlösser sie vor Ort knackten. Monatelang waren die Diebe im Raum Tübingen unterwegs und haben systematisch Fahrräder gestohlen, die sie anschließend lastwagenweise nach Bosnien karrten, um sie dort weiterzuverkaufen. „Wir haben die mutmaßlichen Täter erwischt“, sagt Josef Hönes vom Polizeipräsidium in Reutlingen, „das ist der größte Fahndungserfolg gegen Fahrraddiebe in den letzten Jahren.“

Üblicherweise sei die Aufklärungsquote relativ niedrig, sie liege im Schnitt unter zehn Prozent, berichtet Hönes. „Aber dieser Erfolg wird unsere Bilanz erheblich verbessern.“ Ein Großteil der Fahrraddiebstähle, die in letzter Zeit in Tübingen begangen wurden, ging wohl auf das Konto der jetzt gefassten Gruppe.

Die sieben Männer, die aus dem ehemaligen Jugoslawien stammen und 19 bis 50 Jahre alt sind, stehen unter dem dringenden Verdacht, seit Juni 2015 rund 300 Räder gestohlen sowie 100 Einbrüche in landwirtschaftliche Lagerhallen und Wertstoffhöfe begangen zu haben. Der Gesamtwert des Diebesguts beläuft sich auf 250 000 Euro.

Auf die Spur der Täter kamen die Ermittler zum einen über Zeugen, denen ein dunkler Transporter aufgefallen war. Zum anderen hatten Beamte der Bundespolizei in der Nähe von Traunstein kurz vor der deutsch-österreichischen Grenze im September einen ungewöhnlichen Fund gemacht: Als sie einen Fiat Ducato kontrollierten, entdeckten sie im Laderaum 57 gut ausgestattete Trekking- und Rennräder – sie waren übereinander gestapelt bis unter die Decke. Viele davon waren in Tübingen als gestohlen gemeldet worden und teilweise noch mit Schlössern abgesperrt. Die beiden Insassen des Fahrzeugs gaben an, sie seien beauftragt worden, ihre Fracht nach Bosnien zu bringen.

Asylbewerber wurden als Diebe angeheuert

Die daraufhin eingerichtete Ermittlungsgruppe „Ducato“ konnte durch verdeckte Maßnahmen nach und nach mehr über die Täter und ihre Strukturen herausfinden. „Wir gehen davon aus, dass die Anführer zwei Brüder und deren Onkel sind“, sagt Hönes. Einer von ihnen betrieb im Landkreis Tübingen einen Wertstoffhandel, die beiden anderen hielten sich in der Gegend als Touristen auf. Die Haupttäter hätten Asylbewerber aus Serbien sowie aus Bosnien und Herzegowina regelrecht angeheuert, um die Diebstähle zu begehen.

„Nach dem Fund bei Traunstein schwenkten sie allerdings um“, sagt Hönes, „anstatt weiterhin Räder zu klauen, brachen sie in Werk- und Lagerhallen ein. Sie nahmen Baumaschinen, Metallschrott und Garten- oder Elektrogeräte mit.“

Als bekannt wurde, dass eine weitere Transportfahrt ins bosnische Tuzla bevorstand, griffen die Behörden ein. 80 Beamte durchsuchten in einem Großeinsatz vor wenigen Tagen zwei Schrotthandlungen im Kreis Tübingen sowie mehrere Wohnungen in der Umgebung. Insgesamt wurden sieben Transportfahrzeuge, Wertstoffe und 20 000 Euro an Bargeld sichergestellt. „Auch in Bosnien wurden die dortigen Kollegen fündig“, sagt der Polizeisprecher Hönes. Die Familie des mutmaßlichen Anführers habe in Tuzla eine Firma für Gebrauchtmaschinen betrieben, in den Räumen hätten die Polizisten sowohl etliche Fahrräder aus Deutschland als auch Wertstoffe aller Art entdeckt.

Organisierte Banden bringen die Räder ins Ausland

Immer wieder sind im Land organisierte Banden oder auch Einzeltäter zugange. Im vergangenen Jahr sind in Baden-Württemberg 28 408 Fahrräder entwendet worden, 2014 waren es 27 203 Räder. In diesem Jahr sei ein leichter Anstieg zu verzeichnen, sagt eine Sprecherin des Innenministeriums. Häufig haben die Täter keine Strafe zu befürchten. Für die Suche nach den Dieben ist kein Personal vorhanden. Selten werden Ermittlungsgruppen eingerichtet wie etwa vor ein paar Jahren in Freiburg, wie der dortige Polizeisprecher bestätigt.

Symptomatisch ist bei Fahrraddiebstählen, dass sie häufig gar nicht angezeigt werden. Die Dunkelziffer ist hoch. Zu gering ist der Schaden, zu niedrig die Erwartung, dass die Beamten wirklich weiterhelfen können. „Zu uns kommen diejenigen, die eine Bestätigung für die Versicherung brauchen“, sagt der Polizeisprecher Hönes.

Wer den Beamten die Rahmennummer nennen kann, hat eine höhere Chance, das Fahrrad zurückzubekommen. Die Polizei speichert die Nummer im deutschen Fahndungssystem Inpol und kann über die Grenzen der Bundesländer hinweg nach Besitzern suchen. Wurde die Beute allerdings ins Ausland gebracht – häufig geht es Richtung Osteuropa – dann braucht es Zufallsfunde, um die Täter aufzuspüren. Denn die Fahrraddaten werden nicht an das Schengener Informationssystem weitergegeben, eine Suche im europäischen Fahndungssystem ist folglich nicht möglich. „Man müsste darüber nachdenken, ob man nicht die Fahrraddiebstähle darin aufnimmt“, sagt Renato Gigliotti vom baden-württembergischen Innenministerium – zumal es immer hochwertigere Räder gebe. Doch da müsste der Bund aktiv werden.