Während Patienten klare Aussagen erwarten, antworten Mediziner mit Phrasen und Fachchinesisch.

Stuttgart - Neben einem soliden Fachwissen und praktischer Erfahrung braucht ein Arzt vor allem eins: Zeit zum Zuhören. Doch gerade daran mangelt es vielen Doktoren im Praxis- und Klinikalltag. Das Gespräch mit dem Patienten ist zu einer oft lästigen Pflicht geworden.

Dr. Gregory House ist Spezialist für Diagnostik. Ein Arzt mit genialischem Gespür für außergewöhnliche Krankheitsbilder. House ist arrogant, nervig und zynisch - aber er hört seinen Patienten zu. Ihre gesamte Persönlichkeit und Krankengeschichte sind Teil der Diagnose und des Heilerfolgs. Schade nur, dass der brillante Dr. House bloß eine Fiktion ist, Star der gleichnamigen Kultserie aus den USA.

Verstehen Sie Mediziner? Testen Sie Ihr Wissen bei medizinischen Fachbegriffen.

In deutschen Praxen und Kliniken sind Mediziner, die zuhören, rar gesät. Wenn Arzt und Patient reden, dann meistens aneinander vorbei. "Für viele Patienten wäre es das Beste, es würde nichts sonst getan, außer mit ihnen verständig zu reden", sagt Hermann Füeßl, Leitender Arzt für Innere Medizin am Klinikum München Ost.

Untersuchungen zeigen, dass es um die psychosoziale Kompetenz der Mediziner schlecht bestellt ist. Die Erklärungen des Patienten werden mitunter schon nach 20 Sekunden durch Fragen unterbrochen. Laut Statistik bleiben Patienten durchschnittlich 7,6 Minuten in der Sprechstunde, um ihrem Arzt sagen, was sie plagt. Wenn er es eilig hat, ist das Gespräch schon nach 4,5 Minuten beendet. Nicht gerade viel, um Ängste und Fragen loszuwerden und eine sinnvolle Therapieanleitung mit nach Hause zu nehmen. "Heute ist die Kommunikation zwischen Arzt und Patient der Technologie gewichen", stellt der Wiener Patientenanwalt Konrad Brustbauer fest.

Die Sprache, das wichtigste Instrument im Umgang mit dem Patienten, scheint vielen Ärzten abhanden gekommen zu sein. In der Sprechstunde herrscht Sprachlosigkeit. Der Patient ist zum "Objekt degradiert" und zum "Kunden im Gesundheitssystem" gestempelt worden, kritisiert der Salzburger Herzchirurg Felix Unger.

Nach Angaben des Sozialverbands VdK kommt der Patient in einer normalen Sprechstunde 106 Sekunden zu Wort. Jeder hat eine solche Situation schon einmal erlebt. Man betritt das Behandlungszimmer. Ein kurzer Gruß. Der Arzt blickt einen an, hört kurz zu und schaut dann auf seinen Monitor oder füllt die Karteikarte aus. Zum Schluss spuckt der Drucker ein Rezept aus. Gute Besserung. Das war's.

"Behandlungen sind am erfolgreichsten, wenn sie auf eine gemeinsame Entscheidung von Arzt und Patient beruhen", sagt Füeßl, der sich in der Stiftung Zuhören engagiert. Da 30 bis 40 Prozent der Erkrankungen somatoform seien - also seelische Ursachen haben, die sich in körperlichen Symptomen ausdrücken -, sei nichts so wichtig wie die Kunst des Zuhörens.

Nach Ansicht der AOK führt die gestörte Kommunikation nicht nur zu unzufriedenen Patienten, sondern auch zu Missverständnissen bei der Medikamenteneinnahme und falsch verstandenen Diagnosen. Die ganzheitliche Betrachtung des Menschen, wie sie in der alternativen Medizin selbstverständlich ist, wird in der Schulmedizin weitgehend vernachlässigt.

Der Sozialverband VdK sieht einen Grund dafür im technisierten Medizinbetrieb, in dem das Arzt-Patienten-Verhältnis in einem engen Zeitrahmen funktionieren muss. Beide seien Teil eines komplizierten Vergütungssystems, das für technische Leistungen "viel mehr Honorar als für ein Patientengespräch" vorsehe. Diese Situation habe sich seit Einführung des Gesundheitsfonds 2009 noch verschärft.

Das bestätigt auch Gertrud Demmler vom Vorstand der Siemens Betriebskrankenkassen: "Geld verdient der Arzt nicht mit Zuhören, sondern mit Aktivitäten und Verrichtungen. So wenig wie es gelingt, Zuhören ausschließlich über Geld zu erzwingen, so sehr behindert das heutige Vergütungssystem das Zuhören in der Medizin."

Doch es geht auch anders. Es gibt sie noch, jene Medici, die eine Untersuchung nicht mit der Stoppuhr durchführen. Ein Beispiel: Eine 40-jährige Frau ist an Grippe erkrankt. Der Esslinger Arzt, der zum Hausbesuch kommt, ist Schulmediziner und anthroposophischer Arzt. "Ich nehme mir immer Zeit für meine Patienten", sagt er, "bis zu einer Stunde." Aufmerksam hört er der Patientin zu, untersucht sie lange und verabreicht ihr Medikamente, deren Wirkweise er genau erklärt. Zur Sicherheit schreibt er die Medikamentation auf einen Zettel auf. Die Frau kann ihr Glück kaum fassen: Ein Arzt, der einfach nur zuhört und sich Zeit nimmt.

Frisch approbierte Mediziner beherrschen Tausende Fachbegriffe. Selbstverständlich wenden sie diese auch an - und zwar dort, wo sie nur bedingt etwas zu suchen haben: im Gespräch mit dem Patienten. Für ihn sind Begriffe wie interstitielle Zystitis (Harnblasenentzündung unklarer Herkunft) oder Agranulozytose (Mangel an weißen Blutkörperchen) unverständliche Laute. Hinzu kommt, dass er beim Arztbesuch emotional angespannt ist, weil er nicht weiß, was ihn plagt und erwartet. Jede Äußerung des Arztes wird vor dem Hintergrund eigener Ängste und Hoffnungen gedeutet. Die mangelhafte Kommunikation verstärkt nur das Gefühl, der Krankheit und dem Medizinbetrieb hilflos ausgeliefert zu sein.

An den Unikliniken Freiburg und Heidelberg untersucht man seit Jahren, wie das Arzt-Patienten-Gespräch optimiert werden kann. Im Medizinstudium nehme die Empathie mit dem Patienten ab dem dritten Semester rapide ab, der Zynismus dagegen zu, erklärt Jana Jünger, Oberärztin an der Medizinischen Klinik II der Uni Heidelberg. Die Studenten trainieren im Rahmen des Heidelberger Curriculum Medicinale in ausgewählten klinischen Fächern mit ausgebildeten Simulationspatienten - also Laienschauspielern -, die die Krankheit spielen. "Einfühlung kann man lernen", glaubt Jünger.

Nach Angaben von Andreas Hofmann, Lehrbeauftragter für Allgemeinmedizin an der TU München, führt ein Arzt in seinem Berufsleben rund 16000 Patientengespräche. Seine "Kunden" wünschten sich nichts so sehr wie einen guten Zuhörer. Auch Magnus Heier, Facharzt für Neurologe in Castrop-Rauxel, ist überzeugt: "Würde in Klinik und Praxis mehr geredet, könnte die Medizin in Deutschland besser sein - und das, ohne teurer zu werden. Worte sind preiswert und wirksam."