Der scheinbar endlose Anstieg zum Timmelsjoch ist der Abschluss des Radmarathons. Foto: Ötztal Tourismus

Die Lust von Hobbysportlern an Extremen hat viele Ausprägungen. Einer der eindrücklichsten Beweise für die Lust an der sportlichen Qual nimmt seit mehr als 30 Jahren Ende August in Sölden seinen Lauf. Beim Ötztaler Radmarathon versuchen sich Tausende Rennradfahrer an der Überquerung von vier Alpenpässe.

Sölden - Jeder, der am letzten Augustwochenende um 6.45 Uhr an der Startlinie mitten im Tiroler Skiort Sölden steht, hat viele Tausend Trainingskilometer absolviert - und meist auch viele Tausend Euro in sein Rennrad investiert. Doch die rund 4500 Starter beim Ötztaler Radmarathon sind keine Profis. Die meisten sind mehr oder weniger gewöhnliche Hobbysportler. Auch wenn sie sich an diesem Tag einer außergewöhnlichen Herausforderung stellen.

Schon die nackten Zahlen machen klar, was auf die Teilnehmer wartet. Die Strecke ist 238 Kilometer lang. 5500 Höhenmeter müssen überwunden werden. Von Sölden führt die Route hinab nach Ötz. Der erste Anstieg ist ähnlich steil wie die Stuttgarter Hasenbergsteige, nur zehnmal so lang und führt hinauf nach Kühtai auf mehr als 2000 Meter über dem Meer. Von dort geht es mit teilweise mehr als 100 Stundenkilometern hinunter nach Innsbruck. Es wartet der Anstieg zum Brenner. Nach einer weiteren Abfahrt folgt in Südtirol der Jaufen Pass. Am Ende lauert der knapp 1800 Höhenmeter lange Anstieg zum Timmelsjoch hinauf auf mehr als 2500 Meter. Nur wer den Gipfel der Passstraße bis 19.30 Uhr erreicht, darf die Abfahrt nach Sölden noch mit Startnummer in Angriff nehmen und wird gewertet.

Der Sieger ist schneller als Jan Ulrich

Das Feld setzt sich zusammen aus ambitionierten Hobbysportlern und mehr oder weniger professionellen Fahrern. Der Sieger 2016, der Deutsche Bern Hornetz, bewältigt die Strecke in weniger als sieben Stunden. Zum Vergleich, Tour-de-France-Sieger Jan Ulrich gab beim Ötztaler vor einigen Jahren sein Comeback als Hobbyfahrer und war in deutlich über 8 Stunden im Ziel.

Wie ernst die Hobbyfahrer ihr Hobby nehmen, zeigt sich an jeder Ecke an diesem sehr speziellen Wochenende in den Alpen. Die meisten Räder, die die Freizeitfahrer an den Start bringen, wären bei Profirennen illegal. Nicht etwa weil sie den Ansprüchen der Berufsfahrer nicht genügen würde. Vielmehr verlangt der Weltverband der Radfahrer, die UCI, ein Mindestgeweicht von 6,8 Kilogramm pro Rad. Damit soll extremer Leichtbau und somit das Risiko von Stürzen aufgrund von Materialermüdung minimiert werden. Doch das Material der Hobbysportler ist häufig teurer und somit wesentlich leichter als das der Profis - nicht selten liegt der Wert der Räder im fünfstelligen Bereich. Ein weiteres Beispiel für die Professionalisierung des Hobbysport ist das Rahmenprogramm. Im ersten Hotel am Ort, dem Bergland, hält beispielsweise Perikles Simon, der Leiter der Sportmedizin an der Johannes Gutenberg Universität in Mainz, Vorträge über Ernährung und Trainingslehre.

Der Letzte wird gefeiert wie ein Sieger

Doch egal ob Voll- oder Halbprofi oder ambitionierter Wochenendradler, alle quälen sie sich an diesem Wochenende. Spätestens am vorletzten Anstieg, dem Jaufen Pass verlassene einige die Kräfte oder das Zeitlimit und damit der Besenwagen rücken immer näher. Wer es allerdings ins Ziel nach Sölden schafft, der wird gefeiert - egal ob Erster oder Letzter. Denn in einem Punkt unterscheidet sich der Ötztaler Radmarathon noch immer von einem Profirennen. Es ist gute Tradition, dass der letzte Fahrer, der es im Zeitlimit ins Ziel schafft, bei der großen Siegerehrung aufs Podest geholt und gefeiert wird - auch wenn Andreas Flamminger statt sieben mehr als 13 Stunden und 20 Minuten für die 238 Kilometer gebraucht hat.