Im Derby geht’s mit viel Leidenschaft zur Sache: Göppingens Jacob Bagersted verteidigt gegen Robert Markotic (TVB Stuttgart) – von diesen Emotionen lebt der Handball in der Region. Foto: Baumann

Bei der Expertenkonferenz unserer Zeitung wird klar: Der TVB 1898 Stuttgart, Frisch Auf Göppingen und die SG BBM Bietigheim halten wenig von einer Bündelung der Kräfte in der Region. Das Trio sieht andere Chancen, das Interesse am Handball zu forcieren.

Stuttgart - Jürgen Schweikardt muss schmunzeln, als er die Redaktionsräume betritt. Dem Trainer und Geschäftsführer des TVB Stuttgart schießen Erinnerungen an eine Expertenkonferenz unserer Zeitung an gleicher Stelle im April 2012 in den Kopf. „Du wirst scheitern, wenn du Stuttgart nicht in den Vereinsnamen aufnimmst“, hatte ihm Bob Hanning, der eigens aus Berlin eingeflogene Füchse-Geschäftsführer, mit auf den Weg gegeben. Schweikardts Team hieß damals noch TV Bittenfeld und spielte in der zweiten Liga. 2015 gelang der Sprung nach oben, seit dem Aufstieg setzt der Verein auch als TVB 1898 Stuttgart zum Sprungwurf an. Bob Hanning sei Dank? „Wir hatten das Thema damals schon im Hinterkopf, aber solch ein Austausch mit Kennern der Branche ist immer hilfreich“, sagt Schweikardt.

TVB aktuell in der Tabelle vor Frisch Auf

Sechseinhalb Jahre nach dem Treffen im Pressehaus mit dem „Handball-Napoleon“ hat er sich mit seinem Team in der Bundesliga etabliert. Vor dem Duell mit dem SC Magdeburg an diesem Donnerstag (19 Uhr/Porsche-Arena) steht der TVB mit 9:13 Punkten auf Platz zehn – und ist damit bester württembergischer Club. Traditionsclub Frisch Auf Göppingen, der EHF-Pokal-Sieger der Jahre 2011, 2012, 2016 und 2017, hinkt den Erwartungen mit 8:12 Zählern auf dem elften Rang hinterher. Aufsteiger SG BBM Bietigheim sendete zuletzt mit dem Sieg bei Mitkonkurrent Eulen Ludwigshafen ein Lebenszeichen, rangiert vor dem Heimspiel an diesem Donnerstag (19 Uhr/Egetrans-Arena) gegen die SG Flensburg-Handewitt mit 4:18 Punkten aber auf einem Abstiegsplatz.

„Eine Fusion ist kein Erfolgsfaktor“

Kurz- und mittelfristig hat keiner aus dem Trio eine Perspektive, unter die Top Fünf der Liga zu kommen. Wäre da nicht eine Konzentration der Kräfte sinnvoll? Die Macher der Clubs am Konferenztisch schauen ungläubig in die Runde. Schweikardt redet als Erster Klartext: „Zu meinen, wenn man einen Fünf-, Vier- und Zwei-Millionen-Etat zusammenwirft, wird man deutscher Meister – das funktioniert nicht. Zumal uns diese Story doch keiner glauben würde.“ Er nennt ein Negativbeispiel aus der Nachbarschaft: Die Erzrivalen TSG Oßweil und TV Kornwestheim wollten 2006 als HBR Ludwigsburg gemeinsam am ganz großen Rad drehen – der Versuch ging grandios schief. „Eine Fusion ist kein Erfolgsfaktor“, betont Frisch-Auf-Geschäftsführer Gerd Hofele. Und sein Stellvertreter Peter Kühnle ergänzt: „Der Sport lebt von Tradition und Emotion.“ Schweikardt nimmt den Ball sofort auf. „Von was leben denn Derbys wie Schalke gegen Dortmund oder Celtic gegen Glasgow Rangers?“, fragt er – und liefert die Antwort gleich mit: „Von der riesigen Rivalität. Und vielleicht fehlt uns diese Brisanz in der Region. Zu viel Kooperation nach außen ist sogar schädlich.“

Harte Rivalen um Zuschauer und Sponsoren

Viele Jahre waren der TVB und Frisch Auf Kooperationsvereine. Schon eher verbindet den TVB mit der SG BBM Bietigheim aus der gemeinsamen Zweitligahistorie eine Rivalität. „Wir Vereinsvertreter tauschen uns schon untereinander intern aus. Aber letztendlich sind wir harte Konkurrenten um Zuschauer und Sponsoren, und jeder muss seinen eigenen Weg gehen“, hält auch SG-Geschäftsführer Bastian Spahlinger nichts von der Idee einer gut funktionierenden Handballfamilie im Schatten des großen Bruders Fußballs.

Erfolgsmodell Rhein-Neckar Löwen

In Baden war dagegen ein gemeinsames Konzept statt lange Zeit kleinkarierten Kirchturmdenkens der Ursprung, die Gipfel in Handballdeutschland zu erklimmen. Die 2007 aus der SG Kronau/Östringen entstandenen Rhein-Neckar Löwen feierten 2016 und 2017 die deutsche Meisterschaft. „Ein positives Beispiel“, räumt Schweikardt ein, stellt aber im selben Atemzug die Besonderheit dieses Modells heraus: „Dort gab es eine gewaltige Starthilfe. Es ist von Anfang an viel, viel Geld von SAP geflossen.“ Von solch einem Mäzenatentum können die Männerteams in Württemberg nur träumen – trotz sportaffiner Unternehmer wie Hartmut Jenner (Kärcher/TVB), Ulrich Weiß (Leonhard Weiss/Frisch Auf) und Eberhard Bezner (Olymp/SG BBM), der die Frauen der SG BBM jedoch weitaus großzügiger unterstützt als die Männer. „Einen Alleinherrscher wird es bei uns nicht geben“, stellt Schweikardt klar. „Wenn ein Einzelner aussteigt, darf schließlich nicht alles zusammenbrechen.“

Anwurfzeiten kosten Zuschauer

Die Handballclubs in Württemberg bleiben also weiter Einzelkämpfer. Im Rennen um die Fleischtöpfe der Sponsoren und um die Zuschauer. Der neue TV-Vertrag bringt jedem Club zwar 200 000 Euro pro Saison (davor 100 000), doch die an den Vertrag mit dem Bezahlsender Sky gekoppelten Anwurfzeiten (hauptsächlich Donnerstag 19 Uhr und Sonntag 16 Uhr) missfallen den Vereinen. Sie kosten Zuschauer. Alle hoffen, dass der für den Handball traditionelle Samstagabend als Spieltermin wieder verstärkt ein Thema wird. Tendenzen dahingehend soll es geben. „Uns würde auch der Freitagabend als Termin sehr gut gefallen“, sagt Schweikardt, der den Standort Stuttgart im Übrigen nicht ausschließlich als Vorteil sieht. „Frisch Auf ist in Göppingen der absolute Platzhirsch, wir konkurrieren nicht nur mit dem VfB oder den Volleyballerinnen, sondern auch mit Events wie dem Volksfest.“

Dauerhaft volle Porsche-Arena erfordert Spitzenteam

Der Handballsport sei in Stuttgart nicht stark verankert, Potenzial zur Zuschauergewinnung sieht der 38-Jährige vielmehr in den Kreisen Esslingen, Böblingen, Herrenberg oder Ludwigsburg. „Wir sehen uns als Team der Region“, betont Schweikardt, der genau weiß: Um die Porsche-Arena dauerhaft zu füllen, muss er mit seinem Team oben mitspielen. Schaffen muss der TVB das ganz alleine – auch wenn Bob Hanning 2012 noch eine zweite Empfehlung parat hatte: „Ihr müsst den VfB mit ins Boot nehmen.“ Doch der muss erst recht nach dem eigenen Überleben schauen.

Konferenzteilnehmer

An der Diskussion zum Thema Spitzenhandball in der Region nahmen im Pressehaus Stuttgart die Vertreter der drei württembergischen Männer-Bundesligisten teil.

TVB 1898 Stuttgart Jürgen Schweikardt (Geschäftsführer Sport, Kommunikation, Organisation und Trainer), Sven Franzen (Geschäftsführer Finanzen, Vertrieb, Event), Philipp Klaile (Pressesprecher).

Frisch Auf Göppingen Gerd Hofele (Geschäftsführer), Peter Kühnle (Stellvertreter).

SG BBM Bietigheim
Bastian Spahlinger (Geschäftsführer), Katharina Krumbholz (Pressesprecherin).