Die Städte beklagen enorme Passantenfrequenzverluste Foto: dpa

Die Situation des vom wachsenden Online-Geschäft gebeutelten Einzelhandels ist angespannt – vor allem in der Innenstadt. Viele Demonstrationen und Baustellen, S 21, ein fehlendes Parkleitsystem und die zahlreichen Staus hätten zu enormen Frequenzverlusten geführt.

Stuttgart - Klage ist des Kaufmanns Gruß, sagt ein altes Sprichwort, das in diesen Tagen wieder passt. Anlässlich der Herbstpressekonferenz der Handelsverbandes Baden-Württemberg in der Markthalle beim Wohn-Accessoire-Händler Merz und Benzing klagten Verbandspräsident Hermann Hutter und die Hauptgeschäftsführerin Sabine Hagmann besonders eindrücklich. Grund ist das Damoklesschwert Fahrverbote, das dem vom Online-Geschäft gebeutelten Handel Bange macht.

„Das wäre ein massiver Eingriff. Jeder, der einen Diesel hat, wird es sich zweimal überlegen, ob er in die Stadt fährt. Daher müssen die Fahrverbote um mindestens ein Jahr verschoben werden“, sagte Hagmann, „wenn nicht, könnte es bald einige Einzelhändler in der Stadt nicht mehr geben.“ Martin Benzing, Geschäftsführer von Merz und Benzing, malte dieses Szenario mit seinen Erfahrungen aus. Er bestätigte, dass es für den inhabergeführten Einzelhandel um die Existenz gehe.

Der Blick zurück verdeutlicht das Rückzugsgefecht aller Händler in der Stadt: „Als wir vor 25 Jahren angefangen haben, brauchten wir an den Adventssamstagen Türsteher, um den Andrang bewältigen zu können.“ Davon kann nun keine Rede mehr sein. Wie alle Städte im Land leidet auch Stuttgart unter massiven Rückgängen der Passantenfrequenz. Hagmann bezifferte den durchschnittlichen Rückgang seit den vergangen drei Jahren mit 20 Prozent.

Schwarzer Peter für die Politik

Stuttgart nehme jedoch eine Sonderrolle ein, sagt Benzing. „Wir kämpfen seit S 21, den vielen Baustellen, der Eröffnung des Milaneos, den Feinstaubalarmen und den nun drohenden Fahrverboten massiv mit den Frequenzrückgängen.“ Hinzu komme, da sind sich alle Protagonisten einig, dass die Stau-Hauptstadt Stuttgart nur schwer erreichbar sei und dass die vielen Demonstrationen sowie das fehlende Parkleitsystem die Konsumlaune nicht gerade beförderten.

Schuld daran habe „die Politik“, so Sabine Hagmann, deren Wirken sie auch in Bezug auf Expressbuslinien eine „Flickschusterei“ nannte: „Wenn man die City als Kommunikationsplattform, Arbeitsplatz und für den Handel erhalten will, muss man etwas tun. Wir brauchen ein Masterkonzept.“ Hermann Hutter ergänzte: „Die Innenstadt ist eine gesellschaftspolitische Herausforderung.“ Wie notwendig das sei, erklärte Martin Benzing, der viele Erfolgsmeldungen zur City nicht nachvollziehen kann. Zum Beispiel, dass die in seiner unmittelbaren Nähe liegende Stiftstraße angeblich eine stärkere Passantenfrequenz habe als die Düsseldorfer Kö. „Wahrscheinlich haben die gemessen, als Hollister aufgemacht hat“, sagte er scherzhaft.

Auch die positive Wirkung des benachbarten Dorotheen-Quartiers auf den innerstädtischen Handel hält er für fraglich: „Wir haben uns davon einen Push erhofft, der so nicht eingetreten ist.“ Kurzum: Im Handel herrscht trotz guter wirtschaftlicher Indizes große Verunsicherung. Dies gilt umso mehr mit Blick auf das Weihnachtsgeschäft. Bei den meisten Einzelhändlern macht es 19 Prozent des Jahresumsatzes aus. Bei Merz und Benzing sind es sogar 30 Prozent. Auch deshalb erklärt Martin Benzing: „Es ist fünf vor zwölf.“