Damion Lee gehört in einer enttäuschenden Saison für die Golden State Warriors zu den positiven Überraschungen. Foto: AP/Jed Jacobsohn

Die Golden State Warriors um Superstar Stephen Curry prägten ein Basketball-Jahrzehnt in der NBA, sind in der laufenden Runde aber zumeist chancenlos. Ist der Glanz der ehemaligen Übermannschaft vorbei?

San Francisco - Amerikas Sport-Öffentlichkeit ist sich nur selten einig: Die Frage nach dem größten Basketball-Spieler aller Zeiten kann Weihnachtsessen ruinieren oder das Neujahrsdinner zum hitzigen Wortgefecht ausarten lassen. LeBron James oder Michael Jordan? Ein richtig oder falsch scheint es angesichts der Bedeutung beider Spieler für den Basketballsport nicht zu geben. Überraschend einig sind sich Fans, Presse und Sportler aber bei der Frage nach dem besten Team des demnächst zu Ende gehenden Jahrzehnts: den Golden State Warriors.

Der Nimbus der Unbesiegbarkeit ist weg

Fünf Final-Teilnahmen, drei NBA-Titel, einen Nimbus der Unbesiegbarkeit wie ihn die Basketball-Welt seit Michael Jordans Chicago Bulls nicht mehr gesehen hatte – die NBA-Meisterschaft geht seit Jahren nur über den Club aus Kalifornien. Entsprechend einstimmig fiel die Wahl zum Sportteams des Jahrzehnts beim US-Magazin „Sports Business Journal“ aus.

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Und heute? Da rangieren die Warriors mit acht Siegen und 24 Niederlagen auf dem letzten Tabellenplatz. Zwar erinnerten sie am ersten Weihnachtsfeiertag mit einem beeindruckenden 116:104-Sieg nochmals die Houston Rockets daran, wer ihnen seit Jahren den Weg zur Meisterschaft verbaut hatte – insgesamt aber sind die einstigen Dominatoren in der laufenden Runde kaum konkurrenzfähig. Das drittjüngste Team der Liga zahlt Woche für Woche Lehrgeld. Da stellt sich unweigerlich die Frage: Ist die Ära der Warriors vorbei? Ergeht es ihnen wir Jordans Chicago Bulls, die nach dessen Abschied in der sportlichen Bedeutungslosigkeit versanken?

Die Finals 2019 – der Anfang vom Ende?

Bereits während der verlorenen Finalserie gegen die Toronto Raptors im Juni diesen Jahres deutete sich an, dass die Mannschaft von Trainer Steve Kerr auf Sicht Schwierigkeiten bekommen würde. Scharfschütze Klay Thompson riss in Spiel sechs das Kreuzband, Superstar Kevin Durant – zuvor zwei Jahre in Folge zum besten Spieler der Finals gewählt – war bereits im fünften Spiel die Achillessehne gerissen. Beide würden die gesamte 2019/20-Saison verpassen, was bei Durant, nach dessen Abgang zu den Brooklyn Nets, eine untergeordnete Rolle spielt. Spätestens nachdem sich in Andre Iguodala und Shaun Livingston weitere Stützen im Sommer 2019 verabschiedeten, war der ehemalige Meister-Kader massiv ausgedünnt.

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Abschenken wollte man die aktuelle Saison dennoch nicht. Den Durant-Abgang sollte die Verpflichtung des 23-jährigen All-Star D’Angelo Russell ein wenig abfedern, und dann war da ja immer noch Stephen Curry. Jener Spielmacher, der als bester Drei-Punkte-Schütze in die Geschichte eingehen wird. Gleich am vierten Spieltag passierte, was nicht hätte passieren sollen: Der 31-Jährige brach sich die Hand, wurde seither zwei Mal operiert. Frühestens Ende Januar steht er wieder zur Verfügung. Der Play-off-Zug ist bis dahin abgefahren.

„In der NBA geht alles sehr schnell“

„In der NBA geht alles sehr schnell“, sagte kürzlich Trainer Steve Kerr. Der ursprüngliche Plan des Clubs, mit aller Macht die Play-offs zu erreichen und damit die erste Saison nach dem Umzug von Oakland nach San Francisco zu einem Erfolg werden zu lassen, war mit der Curry-Verletzung dahin. Die neue Devis heißt: verlieren, lernen, Talente entwickeln.

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„Am Anfang war es sehr hart, nicht mehr jeden Abend gewinnen zu wollen“, gibt Draymond Green zu, der mit seinen Defensiv-Künsten zu den Eckpfeilern der Warriors-Dynastie gehörte. Seither schlüpft der 29-Jährige in die Rolle des Mentors für jene Talente, die bei gesunden Superstars wohl kaum zu Spielzeit gekommen wären. Und die nun mit aller Macht versuchen, ein Teil der Zukunft des Clubs zu werden.

Gesucht: Rollenspieler der Zukunft

„Die Jungs arbeiten sehr hart“, sagte Green nach dem jüngsten Sieg über die Rockets. „Wir verlieren immer noch sehr oft, aber wir werden besser.“ Eine These, die sich auch an Zahlen belegen lässt: Zuletzt gewannen Green und Co. drei Mal in Folge. Spieler wie Damion Lee (27), Glenn Robinson (25) oder Willie Cauley-Stein (26) zeigen, dass sie mehr als fähige Rollenspieler bei einem erfolgreichen Team sein können.

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Das aber ist Zukunftsmusik. Die Realität ist der letzte Tabellenplatz, den die Kalifornier auch gar nicht um jeden Preis loswerden wollen. Schließlich hat das schwächste Team der Liga die größte Chance, den talentiertesten College-Spieler beim Draft auswählen zu dürfen. Einen solchen Spieler mit Superstar-Potenzial an der Seite von Curry, Thompson, Russell und Green, die allesamt auch für die kommende Saison unter Vertrag stehen – das soll die Zukunft der Warriors sein.

Erfolg trotz Pleitensaison?

Wenn sich dazu noch ein Spieler aus dem aktuellen Talentpool unentbehrlich macht, wird die aktuelle Saison nachträglich zum Erfolg und mit den Warriors auch Anfang des neuen Jahrzehnts zu rechnen sein. Die Dynastie, sie scheint nur Luft zu holen. Auch wenn in der NBA alles sehr schnell geht.