Bodenständig und gleichzeitig bestens vernetzt – der CSU-Politiker Manfred Weber hat viele Unterstützer in Brüssel. Foto: dpa

Die Europäische Volkspartei schickt den CSU-Politiker Manfred Weber als Spitzenkandidat in die Europawahl. Er könnte neuer EU-Kommissionspräsident werden.

Brüssel - Als im Saal die Europahymne „Ode an die Freude“ erklingt, bekommt Manfred Weber für einen Moment feuchte Augen. Der 46-jährige CSU-Politiker hat gerade das Ziel erreicht, auf das er jahrelang hingearbeitet hat. Der Bayer, der für einen CSU-Spitzenpolitiker überraschend zurückhaltend auftritt, ist der nächste Spitzenkandidat der christdemokratischen europäischen Parteienfamilie. Er hat ein Traumergebnis eingefahren: Die Delegierten des Parteitages im finnischen Helsinki haben ihn mit 492 zu 127 Stimmen gewählt. Als der Luxemburger Jean-Claude Juncker beim letzten Mal gegen den Franzosen Michel Barnier angetreten war, ging das Rennen deutlich enger aus.

Der Applaus ist noch nicht verklungen, da holt Weber bereits den unterlegenen Kandidaten Alexander Stubb auf die Bühne. Stubb, ehemaliger finnischer Regierungschef und derzeit Vize der europäischen Investitionsbank EIB, nimmt seine Niederlage sportlich und versichert glaubhaft: „Ich unterstütze ab jetzt zu hundert Prozent Manfred Weber.“

Merkel macht sich für Weber stark

Die hohe Zustimmung hat sich Weber erarbeitet. Seit vier Jahren führt der gelernte Ingenieur die Fraktion der Christdemokraten im Europaparlament (EVP), der auch die deutschen Abgeordneten von CDU und CSU angehören. Die EVP-Fraktion ist mit 217 Sitzen die stärkste Kraft im Europaparlament. Weber ist als Fraktionschef unangefochten und hat unter den Europaabgeordneten mit seinem ausgleichenden Stil viele Sympathien erobert. Bereits vor dem Kongress hatte er sich die Unterstützung der Parteichefs aus so gut wie allen EU-Mitgliedstaaten sichern können. Sein Vorgänger als Fraktionschef und EVP-Parteichef, der Elsässer Joseph Daul, hat sich massiv für ihn stark gemacht. Und auch Angela Merkel, die Weber auch wegen seines ausgleichenden Politikstils schätzt, warb noch am Donnerstag bei den Delegierten mit für sie geradezu herzlichen Worten für Weber. Sie dankte Stubb für dessen Kandidatur, sagte dann aber: „Du weißt, mein Herz schlägt für Manfred Weber.“

Weber hat gute Chancen, nächster Chef der EU-Kommission zu werden. Bereits nach der letzten Europawahl hatte das Parlament durchgesetzt, dass der Spitzenkandidat der siegreichen Christdemokraten, Jean-Claude Juncker, an die Spitze der mächtigen Behörde gelangte. Die Kommission hat auf EU-Ebene die Aufgabe, Gesetzgebungsvorschläge zu erarbeiten und die Einhaltung der EU-Verträge zu überwachen. Zu früheren Zeiten hatten die Staats- und Regierungschefs unter sich ausgemacht, wer der nächste Kommissionschef wird. Nur widerstrebend haben sie 2014 dem Druck aus dem Parlament nachgegeben und Juncker nominiert.

Macron hat andere Pläne

Das Europaparlament will, dass auch nach der Wahl im Mai 2019 der Spitzenkandidat der stärksten Fraktion Kommissionspräsident wird. Die Christdemokraten müssen zwar 2019 mit Verlusten rechnen, werden aber voraussichtlich wieder stärkste Kraft.

Damit hat Weber gute Aussichten, ein Selbstläufer wird es aber nicht. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron ist ein erklärter Gegner des „Spitzenkandidaten“-Prozesses. Mit seiner Bewegung Europe en marche will er sich im Europaparlament nicht der EVP-Fraktion anschließen. Er dürfte versuchen, zwischen den Regierungen in den EU-Hauptstädten und am Parlament vorbei einen anderen Kandidaten durchzusetzen. Er favorisiert Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager. Beide Kammern auf EU-Ebene sind bei der Besetzung des Kommissionspräsidenten aufeinander angewiesen: Die Verträge sehen vor, dass der Rat, also das Gremium der Mitgliedstaaten, in dem die Staats- und Regierungschefs sich abstimmen, einen Kandidaten vorschlägt. Das Europaparlament wählt dann den Kandidaten mit Mehrheit zum Kommissionspräsidenten.

Weber wird vor allem als Europäer wahrgenommen

Sollte Weber nächster Kommissionspräsident werden, wäre er der erste Deutsche in dieser Position nach Walter Hallstein, der 1958 Chef der ersten EU-Kommission überhaupt wurde. Weber würde noch in einem zweiten Punkt Geschichte schreiben. Der CSU-Mann, der keine Regierungserfahrung hat, würde die Serie beenden, dass ein ehemaliger Staats- und Regierungschef an die Spitze des Brüsseler Beamtenapparates tritt. Angesichts der mit dem Lissabonner Vertrag gestiegenen verfassungsrechtlichen Bedeutung des Europaparlaments lässt es sich gut begründen, dass der Chef der stärksten Fraktion nach dem Amt greift.

Bei der Besetzung von Spitzenjobs auf EU-Ebene werden deutschen Bewerbern generell etwas schlechtere Chancen unterstellt als Kandidaten aus kleineren Ländern. Der Einfluss des größten EU-Landes gilt vielen ohnehin schon als zu groß. Webers Unterstützer wenden ein, dass der Deutschen-Malus für ihn nicht gilt. Durch seine jahrelange Arbeit im Europaparlament werde er vor allem als Europäer wahrgenommen.

Weber wurde immer wieder als Nachfolger von Horst Seehofer als CSU-Parteichef gehandelt. Mit seiner Wahl zum Spitzenkandidaten dürfte sich dies erledigt haben. Inhaltlich ist der Niederbayer davon überzeugt, dass die Eindämmung der illegalen Zuwanderung nach Europa die Schlüsselfrage im kommenden Wahlkampf wird. Er setzt sich für einen robusten Schutz der Außengrenzen ein. Allerdings glaubt er, anders als Seehofer, an eine europäische Lösung und befindet sich damit auf einer Linie mit Merkel. Er ist der Meinung, dass die Türkei nicht zur EU gehört und will die ruhenden Beitrittsverhandlungen auch förmlich beenden. Weber will im Wahlkampf als Brückenbauer auftreten und hat dabei Staaten wie Ungarn, Polen und Italien im Blick. Er sieht sich als Kandidat, der Differenzen zwischen Brüssel und den Mitgliedstaaten ausgleicht. So ist es durchaus Programm, wenn Weber in seiner ersten Rede nach seinem Triumph die Einigkeit der EVP herausstellt: „Heute ist nicht der Tag des Erfolgs eines einzelnen, wir müssen alle Teil sein der Kampagne für 2019.“