Die deutsche Starterin Levina ist in den deutschen Wettbüros schon wieder krasser Außenseiter. Foto: AP

Um Russland gibt es einen Eklat, die Deutsche Levina ist weit abgeschlagen und wie viele in Deutschland nach den Flops der letzten Jahre überhaupt noch den Eurovision Song Contest schauen, ist unklar.

München - Ein wenig scheint es, als stehe der Eurovision Song Contest in diesem Jahr am Scheideweg. Der Rückzug Russlands wegen des Auftrittverbots für Sängerin Julia Samoilowa in Kiew drückt kurz vor dem ersten Halbfinale am Dienstag international die Stimmung. Und in Deutschland ist die große Frage, ob nach den zwei letzten Plätzen der Vorjahre überhaupt noch viele Menschen das ESC-Finale einschalten.

In den Wettbüros ist Deutschland jedenfalls schon wieder krasser Außenseiter. Auf der Vergleichsseite www.oddschecker.com rangiert die deutsche Starterin Levina weit hinten auf Platz 21. Das ist nicht ganz hinten, weil vor den zwei Halbfinals am Dienstag und Donnerstag noch alle 42 Teilnehmerländer gelistet sind. Aber viel Grund für Hoffnung auf eine Überraschung im Finale mit dann 26 Startern gibt es nicht - Levinas Lied „Perfect Life“ floppte selbst in ihrem Heimatland bislang in den Charts.

Levina will einfach gut singen

Entmutigen lässt sich Levina nicht. „Ich will eine gute gesangliche Performance hinlegen“, sagte die 26-Jährige mit der markanten tiefen Stimme der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“. Bei ihr scheint das Talent so ausgeprägt, dass sie ihren Platz im Musikgeschäft schon finden wird - das Schaufenster ESC-Finale könnte es ihr da noch leichter machen.

Denn der lange wegen seiner oft skurrilen Gestalten belächelte Wettbewerb erlebt weltweit seit Jahren einen Boom. 204 Millionen Menschen schalteten im vergangenen Jahr ein und bescherten dem ESC einen Rekord. Dass nun schon zum dritten Mal in Folge Australien mit an den Start geht, belegt nur die Beliebtheit der oft mehr wegen der spektakulären Show als der Musik geschauten Übertragung.

Doch nach der Rekordjagd bei den Zuschauerzahlen der vergangenen Jahre müssen die ESC-Macher nun um Zuspruch bangen. Der Grund ist der auf den Musikwettbewerb projizierte Ukraine-Konflikt. Im vergangenen Jahr gewann die ukrainische Sängerin Jamala mit einem Lied über die Vertreibung von der Krim unter Stalin 1944. Schon damals fühlte sich Russland provoziert und obendrein verschaukelt - denn der russische Starter hatte die meisten Zuschauerstimmen erhalten, landete aber wegen der hälftig gewerteten Jurystimmen am Ende nur auf Rang drei. Russland meldete als Retourkutsche ohne Vorentscheid Julia Samoilowa an. Die im Rollstuhl sitzende Sängerin hat in der Ukraine Auftrittsverbot, weil sie auf der von Russland annektierten Krim sang. Alle Kompromissbemühungen um eine Teilnahmemöglichkeit scheiterten, Russland zog sich zurück. Erst am Wochenende verweigerten die ukrainischen Behörden zudem mehreren russischen Journalisten die Einreise zur ESC-Berichterstattung.

„Früher war alles schriller“

Der bei der ARD für den Wettbewerb verantwortliche Thomas Schreiber erklärte bereits: „So etwas darf sich nicht wiederholen.“ Nach dem ESC-Finale müssten sich die Sender des europäischen Senderverbunds EBU zusammen setzen. „Zur Tagesordnung wird man nicht übergehen können.“ Nachdem die Ukraine außerdem Schwierigkeiten bei der Organisation der Show hatte, werden viele Delegationen der Teilnehmerländer also wohl mit der Faust in der Tasche das 62. ESC-Finale begleiten.

Und mit Spannung werden sie erwarten, wer am Samstag gewinnen und im kommenden Jahr Veranstalter wird. Geht es nach den in den vergangenen Jahren treffsicheren Wettbüros, hat Italiens Francesco Gabbani derzeit mit Abstand die besten Chancen. Es folgen Portugal, Schweden und Bulgarien. Die Gemeinsamkeit dieser Länder: Es sind solide, gleichzeitig aber auch ziemlich unspektakuläre Nummern. „Früher war alles schriller“, bemängelte gerade erst der ESC-Experte Jan Feddersen. Er vermisst in diesem Jahr Schrägheit, Witz und Ironie - und damit genau die Zutaten, die zumindest in Deutschland bisher großen Anteil am Publikumserfolg hatten.