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Getrieben von der unermesslichen Gier nach Geld hoben profilsüchtige Funktionäre die Europaspiele aus der Taufe, kritisiert der Tübinger Sportwissenschaftler Helmut Digel in einer Gastkolumne in den Stuttgarter Nachrichten.

Nun finden sie also statt, die ersten Europäischen Spiele. Aserbaidschan mit seiner Hauptstadt Baku ist von diesem Freitag an der Gastgeber. Ein Binnenstaat in Vorderasien, zwischen dem Kaspischen Meer und dem Kaukasus gelegen. Im Norden grenzt dieser Staat an Russland, nordwestlich an Georgien, im Süden an den Iran und im Westen an Armenien.

Allein die geografische Lage lässt Zweifel aufkommen, ob Aserbaidschan ein geeigneter Gastgeber für die ersten Europäischen Spiele ist. Die Zweifel werden schnell zur berechtigten Kritik, wenn man die politischen Verhältnisse genauer beleuchtet.

Der Europarat musste noch im Jahr 2009 einen Sonderberichterstatter für politische Gefangene in Aserbaidschan ernennen.Von einer parlamentarischen Demokratie kann nur sehr bedingt gesprochen werden. Da kommen internationale Events den Propaganda-Interessen der regierenden Partei „Neues Aserbaidschan“, die auf Wahlerfolge wie zu Zeiten der Sowjetunion verweisen kann (80 Prozent, sehr entgegen. Mit einer expansiven Erdölindustrie lassen sich der Eurovision Song Contest oder die ersten Europaspiele auf dem Gebiet des Sports finanzieren. Transparency International weist darauf hin, dass Aserbaidschan in der Korruptionsstatistik von 178 Staaten auf Rang 134 gelistet ist.

Es lohnt sich einen Blick zurück zu werfen: Noch zur Amtszeit des ersten DOSB -Präsidenten Thomas Bach wurde in Versammlungen der internationalen Repräsentanten deutscher Sportorganisationen versucht, alle Mitgliedsverbände auf eine einheitliche Haltung gegenüber der Idee der kleinen europäischen Minderheit einzuschwören. Diese hatte sich zum Ziel gesetzt Europäische Spiele einzuführen. DOSB-Präsident Bach, inzwischen Präsident des Internationalen Olympischen Komitees (IOC), gab vor, dass man sich bei der entscheidenden Sitzung der Europäischen Olympischen Komitees der Stimme enthalten wird. Gleichzeitig teilte er aber auch alle Bedenken, die gegenüber dieser neuen Idee geäußert wurden.

Ein übervoller Wettkampfkalender lässt ein neues Ereignis eigentlich nicht zu. Die internationalen Sportverbände sahen eine Beteiligung an diesen Spielen als nicht sinnvoll an, da sämtliche Verbände eigene Europameisterschaften austragen. Ein Vergleich mit anderen Kontinenten ergibt schon aus diesem Grund keinen Sinn.

Die Idee der Europäischen Spiele war dabei zunächst die Idee des ehrgeizigen irischen Sportfunktionärs Patrick Hickey, der für sich ein wichtiges Betätigungsfeld suchte. Als Präsident der Vereinigung des Europäischen Olympischen Komitees suchte er ein Lebenswerk, das mit seinem Namen zu verbinden ist. Der frühere Weltradsport-Präsident Hein Verbruggen hatte ihm dieses vorgemacht, als er den Verband SportAccord gründete und sich selbst in einer gut vorbereiteten Wahl zum ersten Präsidenten der Vereinigung für olympische und nicht-olympische Sportarten kürte.

World Mind Games, World Combat Games und weitere globale Sportereignisse folgten. Die Konkurrenz zu den bestehenden Sportorganisationen, insbesondere zum IOC, wurde schnell offensichtlich. In SportAccord ist eine Sportorganisation entstanden, die niemand benötigt und die nur Privatinteressen dient und deren Sinn der Konzeption einer Marketingagentur entspricht.

Doch wo immer sehr viel Geld lockt, entstehen unkontrollierbare Eigeninteressen und Menschen und Organisationen werden schwach, die zuvor noch vorgegeben haben, in aller Konsequenz dagegen zu sein.

Unter dem früheren IOC-Präsidenten Jacques Rogge hat der Sündenfall begonnen. Das IOC stimmte der Gründung von SportAccord zu. Mit der Anwesenheit der IOC-Exekutive bei den Versammlungen von SportAccord wurde diese Organisation sogar noch aufgewertet. Gleiches folgte bei den Initiativen, die zur Gründung der ersten Europäischen Spiele geführt haben.

Der Sportkalender wird damit erneut erweitert. Die Belastung der Athleten wird sich noch weiter erhöhen und die Gier nach Geld wird ins Unermessliche wachsen.

Der neu gewählte Präsident des Europäischen Leichtathletik Verbandes sah es als eine seiner ersten Amtshandlungen, der Welt mitzuteilen, dass sich die europäische Leichtathletik zukünftig an den Europäischen Spielen beteiligen wird, obwohl diesbezüglich sein Vorgänger eine strikte Nicht-Unterstützung beschlossen hatte.

Der Deutsche Olympische Sportbund wird mit einer großen Mannschaft bei den Europäischen Spielen anwesend sein. Man beteiligt sich damit an der Propaganda zu Gunsten dieser Spiele. Von einer kritischen Haltung ist so gut wie nichts mehr zu erkennen. Lediglich das öffentlich-rechtliche Fernsehen, das in der Vergangenheit bereits seine Ablehnung dieser Spiele bekundet hat, bleibt bei seiner Haltung. Aserbaidschan hat mit viel Geld die Sportnationen Europas angelockt und so wundert sich auch kaum jemand noch, dass die ersten Europäischen Spiele zumindest aus einer geografischen Perspektive in Asien stattfinden.

Dabei könnten Europäische Spiele durchaus Sinn ergeben. Der Sport als besonderes Ausdrucksmittel einer europäischen Kultur hat in der Entwicklung des Weltsports große Verdienste erreicht. Heute ist er mehr denn je gefragt , wenn es um Integrationsprozesse Europas geht. Eine zukunftsorientierte Sportpolitik ist auf dem europäischen Kontinent derzeit aber nicht zu erkennen.