Auf die Proteste gegen die Corona-Maßnahmen der Bundesregierung in deutschen Städten (hier Berlin) reagieren viele Europäer mit Unverständnis Foto: dpa/Michael Kappeler

Wir haben unsere Korrespondenten gefragt: Was denken die anderen Europäer über Deutschlands Umgang mit Corona? Die Antworten sind aufschlussreich. Und vor allem eine Sache lässt unsere Nachbarn stutzen.

Stuttgart - Die Frage an unsere Korrespondenten lautet: Was denken unsere europäischen Nachbarn über Deutschlands Umgang mit Corona? Die Antworten sind aufschlussreich.

Martin Dahms: Spanier voller Sorge

„Deutschland gehört zu den Ländern, deren Umgang mit der Covid-19-Pandemie als internationales Beispiel gilt“, schrieb vor wenigen Tagen die spanische Netzzeitung „Nius“. Zumindest aus spanischer Sicht ist Deutschland ein Vorbild: vergleichsweise wenige Tote und ein Gesundheitswesen, das durch das Coronavirus kaum wirklich auf die Probe gestellt worden ist.

Aktuelle Nachrichten zur Coronapandemie in unserem Newsblog

Ganz im Gegensatz zu Spanien, dessen Übersterblichkeit zu den höchsten der Welt zählt und das sich schon wieder um die Belastbarkeit seiner Krankenhäuser sorgt. Dass die Bundesregierung vor Reisen in ihr Land warnt, wundert die Spanier nicht – aber es treibt sie zur Verzweiflung. Die deutsche Quarantänepflicht für Spanien-Rückkehrer sei „der definitive Schlag für die Touristensaison“, findet die Fachpublikation „Preferente.com“. Und auch für die Bevölkerung ist klar: So ist es.

Stefan Brändle: Franzosen wundern sich

Monatelang staunte Frankreich über die deutschen Erfolge bei der Corona-Bekämpfung. „Le Monde“ zog in einem Leitartikel den Hut vor den hohen Test- und den niedrigen Todeszahlen jenseits des Rheins. „Das deutsche Modell wirft ein Schlaglicht auf das Versagen unserer eigenen Bürokratie und unseres Zentralstaats“, kommentierte die Zeitung nicht ohne Neid.

Nach den Anti-Corona-Demos wundern sich die sonst so kundgebungsfreudigen Franzosen noch mehr. Sie haben das Gefühl, dass sich in Deutschland braun gefärbte Extremisten mit „gelben Protestlern“ zusammentun – also jener Gelbwestenbewegung, die Frankreich 2019 gehörig destabilisiert hatte. Jetzt komme offenbar Deutschland an die Reihe.

André Anwar: Auch Schweden demonstrieren

Schweden hat auf einen Lockdown verzichtet, fast alles blieb erlaubt. Man setzte auf die freiwillige Einhaltung von Verhaltensregeln. Die Strategie wurde im Ausland wegen der im Vergleich zur Bevölkerungsmenge (zehn Millionen Einwohner) hohen Todeszahlen von mehr als 5800 Fällen scharf kritisiert. Eine zweite Welle gibt es bislang nicht – auch weil „in Stockholm inzwischen 20 bis 40 Prozent der Bevölkerung immun“ seien, wie der Staatsepidemiologe Anders Tegnell sagte.

Dennoch haben die Schweden unter ihrem Ruf als unverantwortliche Sonderlinge gelitten. Einige Länder verhängten Einreiseverbote, in Deutschland mussten Schweden zwei Wochen in Quarantäne. Inzwischen gibt es im Land auch Corona-Demos, auf denen im Gegensatz zu Deutschland aber härtere Maßnahmen gefordert werden.

Dominik Straub: Italiener sind noch im Schock

Die Entwicklung der Covid-Epidemie in Deutschland ist bei den Italienern derzeit kein Thema – weder in den Medien noch in den Bars. Deutsche Städte sind zwar in den vergangenen Jahren beliebte Reiseziele geworden, aber nicht im Sommer: Da liegen die Bewohner des Belpaese an ihren Stränden oder fahren in die Berge. Ein Randthema waren jedoch die Corona-Proteste in Deutschland. In Italien, das mehr als 35 000 Tote zu beklagen hat, hat man für die Demonstrationen kein Verständnis. Dass Maßnahmen ergriffen werden, um eine zweite Welle zu verhindern, wird von der großen Mehrheit als selbstverständlich akzeptiert. Der Schock sitzt einfach zu tief.

Nach einem harten Lockdown war Italien bezüglich der Zahl der Neuinfektionen über Wochen Europas Klassenprimus. Das Nachlassen der Disziplin an den Stränden hat aber seit Mitte August wieder zu einem Anstieg der Infizierten geführt. Mit rund 1500 Neuinfektionen pro Tag steht man im europäischen Vergleich zwar gut da, die Angst vor einem neuen Aufflackern ist aber spürbar. Sorgen bereitet vor allem der Schulanfang am 14. September.

Sebastian Borger: Briten schauen neidisch

Schon früh in der Corona-Pandemie schielten Wissenschaftler und Medien neidisch auf die Deutschen. In diesen Tagen lag die Zahl der an Covid-19 Verstorbenen laut Gesundheitsministerium bei fast 42 000 – und damit viermal höher als im bevölkerungsreicheren Deutschland. Schätzungen halten sogar 64 000 Tote für wahrscheinlich. Das Hauptaugenmerk liegt auf Urlaubsländern wie Spanien, Frankreich und Portugal.

Deutschland gilt als Insel der Seligen; über die lokalen und regionalen Ausbrüche, etwa in der Tönnies-Fleischfabrik oder in Berliner Schulen, wird sachlich berichtet. Flugreisen nach und von Deutschland sind ohne Sanktionen möglich. Die von schweren Kompetenzkrisen geplagte Regierung unter Premier Boris Johnson will die Gesundheitsbehörde Public Health England nach dem Vorbild des deutschen Robert-Koch-Instituts umbauen.