Eine Messstation direkt an einem Mauervorsprung und vor einer großen Hausfassade: Kommen da realistische Messwerte für die Luftbelastung heraus? Der EU-Abgeordnete Norbert Lins hat da so seine Zweifel. Foto: Lichtgut/Leif Piechowski

Deutschlands Autobranche hadert mit der EU, deren Grenzwerte den für Jobs und Klima so wichtigen Diesel zurückdrängen. Der CDU-Europa-Abgeordnete Norbert Lins sieht dagegen auch Deutschland in der Pflicht, das die EU-Regeln viel stärker zulasten der Autofahrer auslege als andere Länder.

Stuttgart - Deutschlands Autobranche hadert mit der EU, deren Grenzwerte den für Jobs und Klima so wichtigen Diesel zurückdrängen. Der CDU-Europa-Abgeordnete Norbert Lins sieht dagegen auch Deutschland in der Pflicht, das mit den EU-Regeln ganz anders umgehe als andere Länder.

Norbert Lins (41) ist Abgeordneter im Europaparlament und hat als Mitglied des Umweltausschusses die Überprüfung der Messstellen angestoßen.

Herr Lins, die EU-Kommission hat der Autoindustrie zugebilligt, dass ihre Fahrzeuge auf der Straße zunächst das 2,1-Fache und ab Anfang nächsten Jahres das 1,43-Fache dessen ausstoßen dürfen, was auf dem Prüfstand erlaubt ist. Ist dieser Ansatz in Ordnung?

Ja, ich finde, diese Werte sind mit Augenmaß gewählt. Die neuen Diesel halten ja mittlerweile den Laborgrenzwert von 80 Milligramm Stickoxid pro Kilometer auch auf der Straße ein und unterschreiten ihn sogar meist deutlich. Diese Konformitätsfaktoren, die auf der Straße höhere Werte erlauben, sind ja nur noch deshalb nötig, weil die Messvorschriften äußerst streng sind und der Grenzwert nicht nur im Durchschnitt, sondern bei jeder einzelnen Fahrt eingehalten werden muss. Wenn wir die Klimavorgaben einhalten müssen, brauchen wir den Diesel und dürfen nicht auch die Fahrzeuge mit der neuesten Generation dieser Technologie mit Fahrverboten belegen.

Das Gericht der Europäischen Union hält aber die Art und Weise, wie diese Faktoren zustande gekommen sind, für unzulässig und lehnt sie ab. Nun legt die EU-Kommission Berufung gegen dieses Urteil ein. Wozu wird das führen?

Das Gericht stört sich daran, dass die Verschärfung nicht in einem regulären Gesetzgebungsvorhaben unter Beteiligung des Europäischen Rates und des Europäischen Parlaments vorgenommen worden ist. Weil man ja auch jetzt noch nicht weiß, wie das Gerichtsverfahren letztlich ausgeht, wird es zugleich auch ein neues Gesetzgebungsverfahren für diese Werte geben. Dieses wird sich durch die Europawahl im Mai zwar verzögern, aber im Herbst könnten wir damit beginnen.

Die zuständige Industriekommissarin Elzbieta Bienkowska gilt als erklärte Diesel-Gegnerin und hat der Industrie bereits davon abgeraten, ihn noch zu verbessern. Wird sie mit dem neuen Gesetz die bisherigen Werte verschärfen?

Kein Kommissar kann darüber alleine entscheiden. Schon über den Vorschlag zu einer neuen Richtlinie muss sich das gesamte Kollegium der Kommissare verständigen, so dass sich einzelne Positionen nicht unmittelbar durchsetzen lassen. Zudem muss eine solche Regelung ja auch noch durch den Europäischen Rat und durch das EU-Parlament…

Kein Kommissar kann darüber alleine entscheiden. Schon über den Vorschlag zu einer neuen Richtlinie muss sich das gesamte Kollegium der Kommissare verständigen, so dass sich einzelne Positionen nicht unmittelbar durchsetzen lassen. Zudem muss eine solche Regelung ja auch noch durch den Europäischen Rat und durch das EU-Parlament…

… was ja nicht immer zu einer Abmilderung führt. Bei den Grenzwerten, die den Autos für den Ausstoß des Treibhausgases CO2 gesetzt werden, ging die EU-Kommission mit dem Vorschlag einer 30-prozentigen Senkung bis 2030 ins Rennen – herausgekommen sind 37,5 Prozent. Wie kam es dazu?

Das Ziel von 30 Prozent ist ebenfalls ambitioniert, zugleich aber auch erreichbar. Wenn jedoch Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) im Europäischen Rat einerseits die Bundesregierung vertritt und andererseits öffentlich erklärt, eigentlich eine viel schärfere Regelung zu wollen, stärkt das nicht gerade die Position der Bundesregierung, die ja den Vorschlag der Kommission unterstützte. Solche Aussagen bleiben natürlich auch den Vertretern anderer Länder nicht verborgen. Ich kann diese Position noch nicht einmal aus Sicht der Sozialdemokraten nachvollziehen.

Wie meinen Sie das?

Je schneller die Grenzwerte gesenkt werden, desto ungünstiger kann die Bilanz für die Arbeitsplätze ausfallen. Denn dann muss der Verbrennungsmotor, obwohl er für die Beschäftigung noch eine wichtige Rolle spielt, schneller verschwinden – erst recht, nachdem der Diesel wegen der Fahrverbote so geschwächt ist. Dass die Sozialdemokraten diese Entwicklung noch forcieren, kann ich nicht nachvollziehen. Es gab im Parlament eine ganze Reihe von Änderungsanträgen auch der deutschen Sozialdemokraten, die bis 2030 sogar eine Halbierung wollten.

Beim Klimaschutz gibt es ja nicht nur ein Ziel bis 2030, sondern auch schon eines bis 2025. Welche Bedeutung hat dieses aus ihrer Sicht?

Dieses Zwischenziel wird in der öffentlichen Diskussion wenig beachtet, ist aber im Grunde noch wichtiger als die langfristige Vorgabe. Denn bis 2030 hat die Autoindustrie natürlich größere Möglichkeiten, sich auf neue Bedingungen einzustellen, als in den nächsten sechs Jahren. Hier ist es der EVP, zu der im Europäischen Parlament auch die CDU gehört, gelungen, die 15 Prozent, die Bundesregierung und EU-Kommission angestrebt hatten, in die neue Richtlinie hinüberzuretten.

Deutschland gehört ja zu der Minderheit der EU-Länder mit einer großen eigenen Autoindustrie. Wie wichtig ist anderen EU-Staaten das Anliegen, neben dem Klima und der Umwelt auch die Beschäftigung in der Autoindustrie im Blick zu haben?

Nur acht der 28 Mitgliedsstaaten haben eine relevante Auto- und Zulieferindustrie. Das reicht natürlich bei weitem nicht für eine eigene Mehrheit. Wenn Deutschland dann auch noch uneins auftritt, wird es noch schwieriger. Allerdings können diese acht Länder auch nicht überstimmt werden.

Sie haben im Umweltausschuss des Europäischen Parlaments ja die Überprüfung von 50 Messstationen für Stickoxide in fünf EU-Staaten auf den Weg gebracht. Was versprechen Sie sich davon?

Derzeit werden die Standorte von jeweils zehn Stationen in Deutschland, Österreich, Polen, Frankreich und Italien analysiert – darunter auch das Stuttgarter Neckartor. Ich kann dem Ergebnis zwar nicht vorgreifen, aber es ist klar, dass die Spielräume für eine Aufstellung der Messstellen sehr groß sind. Ich darf sowohl in 1,50 Metern als auch in 4 Metern Höhe messen und bekomme dann ganz unterschiedliche Ergebnisse, die beide den Richtlinien entsprechen. Ich habe schon den Eindruck, dass Deutschland seine Spielräume hier so nutzt, dass die Messwerte besonders hoch ausfallen. Wohl auch deshalb ist Stuttgart die einzige Stadt in Europa mit einem flächendeckenden Fahrverbot für Euro-4-Diesel.

Wie wird die deutsche Diskussion in anderen EU-Ländern gesehen?

Die Schadstoffbelastung der Luft ist in allen Ländern mit großen Metropolen wie London, Paris und Madrid ein Thema. Der Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs, alternative Antriebe – all das wird auch dort intensiv diskutiert. Selbst Diesel-Fahrverbote gibt es dort – allerdings nur für sehr alte Fahrzeuge. Hier dagegen verhängt man Fahrverbote selbst für neuere Autos und verfehlt auch noch die Klimaziele – nicht zuletzt, weil die Leute nun zu Benzinern wechseln. Etwas mehr von der Gelassenheit anderer Länder würde Deutschland hier sicher gut tun.