Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und Bundeskanzlerin Angela Merkel beim EU-Gipfel in Brüssel Foto: AP/Stephanie Lecocq

Riesige Summen gegen eine beispiellose Krise: Die Europäische Union versucht, der Pandemie gemeinsam die Stirn zu bieten. Es ist ein historische Gemeinschaftsprojekt – aber kann das gelingen?

Brüssel - Im Streit über das historische EU-Milliardenpaket gegen die Corona-Krise hat Bundeskanzlerin Angela Merkel die Erwartungen gedämpft. Beim EU-Gipfel in Brüssel sagte die CDU-Politikerin am Freitag, die Unterschiede der 27 Länder seien „noch sehr, sehr groß“ und es sei unklar, ob schon ein Ergebnis möglich sei. Der Erwartungsdruck ist dennoch enorm, die größte Krise in der Geschichte der Europäischen Union gemeinsam zu bekämpfen.

Lesen Sie hier: Staats- und Regierungschefs gratulieren Angela Merkel

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron sprach vom Moment der Wahrheit und forderte Solidarität und Engagement. „Die nächsten Stunden werden absolut entscheidend sein“, sagte Macron.

Befürchtet wird für 2020 ein Einbruch der EU-Wirtschaft um 8,3 Prozent - eine beispiellose Rezession. EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen warnte, die Menschen in Europa hätten Angst um ihre Arbeitsplätze und vor dem Virus. „Die ganze Welt beobachtet Europa - ob wir in der Lage sind, gemeinsam aufzustehen und diese Corona-bedingte Wirtschaftskrise zu überwinden.“

Bei dem Sondergipfel in Brüssel geht es um den Vorschlag der EU-Kommission, 750 Milliarden Euro an den Finanzmärkten aufzunehmen und das Geld dann in ein Konjunktur- und Investitionsprogramm zur Bewältigung der Wirtschaftskrise zu stecken. Davon sollen 500 Milliarden Euro als Zuschüsse an Krisenstaaten fließen und 250 Milliarden als Kredite. Verhandelt wird dies im Paket mit dem nächsten siebenjährigen EU-Finanzrahmen, der noch einmal mehr als 1000 Milliarden Euro umfassen soll.

Länder wie Italien und Spanien würden am meisten profitieren

Die von der Pandemie besonders hart getroffenen Länder wie Italien und Spanien würden am meisten profitieren. Sie dringen auf eine rasche Einigung. Italiens Ministerpräsident Giuseppe Conte sagte, ein Kompromiss sei nicht nur im Interesse der Italiener, „die viel gelitten haben und leiden, sondern im Interesse aller europäischen Bürger“. Sein spanischer Kollege Pedro Sanchez sprach von einem historischen Gipfel.

Umstritten sind jedoch nicht nur die Summen, sondern auch das Prinzip der Zuschüsse, die Maßstäbe zur Verteilung und die Kontrolle der Verwendung. Bedenken haben vor allem die sogenannten Sparsamen Vier, nämlich Österreich, Schweden, Dänemark und die Niederlande.

Der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte baute vor einer Einigung hohe Hürden auf. Er verlangte, dass Empfänger Reformen vor der Auszahlung der EU-Hilfen nicht nur zusagen, sondern bereits umgesetzt haben. „Wenn Kredite bis zu einem gewissen Grad in Zuschüsse umgewandelt werden müssen, dann sind Reformen umso wichtiger und die absolute Garantie, dass sie wirklich stattgefunden haben“, sagte Rutte.

Darüber hinaus nannte er als Knackpunkte in den Verhandlungen die Höhe des nächsten mittelfristigen EU-Budgets, die Höhe der Rabatte für Netto-Beitragszahler und die Aufteilung der Corona-Hilfen in Kredite und Zuschüsse.

Sebastian Kurz spricht von großen Differenzen

Österreichs Kanzler Sebastian Kurz sprach ebenfalls von großen Differenzen, aber: „Ich glaube, es ist nichts unüberwindbar. Wenn man möchte, ist das möglich, eine Lösung zu finden.“ Die Dinge hätten sich für Österreich zuletzt in die richtige Richtung bewegt.

Neben den „Sparsamen Vier“ haben aber auch andere Länder Vorbehalte und Forderungen. So verlangte der tschechische Ministerpräsident Andrej Babis, unter anderem auch die Autoindustrie beim Wiederaufbau zu fördern. Polens Ministerpräsident Mateusz Morawiecki lehnte den Vorschlag ab, EU-Gelder mit Klimazielen oder Auflagen zur Rechtsstaatlichkeit zu verknüpfen. Gegen die Koppelung an Rechtsstaatlichkeit wendet sich auch Ungarn.

Bundeskanzlerin Merkel forderte „wirklich große Kompromissbereitschaft aller, damit wir etwas hinbekommen, was für Europa gut ist“. Der Kanzlerin kommt in den Verhandlungen eine Vermittlerrolle zu, denn Deutschland führt seit dem 1. Juli den Vorsitz der 27 EU-Länder. Den Gipfel leitet jedoch der ständige Ratspräsident Charles Michel, der ebenfalls appellierte: „Obwohl es schwierig ist, bin ich davon überzeugt, dass es mit politischem Mut möglich ist, eine Einigung zu erreichen.“