Seit vier Jahren berät die Liga der freien Wohlfahtsverbände Hartz-IV-Empfänger bei der Kommunikation mit dem Jobcenter. Foto: dpa-Zentralbild

Die unabhängige Hartz-IV-Beratung der Liga der freien Wohlfahrtsverbände stellt ihren Jahresbericht vor und beklagt den Umgang der Behörden mit Leistungsempfängern. Das Jobcenter weist die Vorwürfe von sich.

Kreis Esslingen - Die Wirtschaft boomt. Und gerade in der Region Stuttgart profitieren davon viele Menschen, aber längst nicht alle. Eigentlich wäre angesichts sprudelnder Steuerquellen genügend Geld vorhanden, um Bedürftige zu unterstützen. „Es fehlt aber der politische Wille, mehr soziale Gerechtigkeit in diesem Land durchzusetzen“, vermutet der Vorsitzende der Liga der freien Wohlfahrtspflege im Landkreis Esslingen und Geschäftsführer der Diakonie, Eberhard Haußmann.

Die Liga der freien Wohlfahrtspflege, in der sich die AWO, die Caritas, die Diakonie, das Deutsche Rote Kreuz und die Parität zusammengeschlossen haben, berät seit vier Jahren Hartz-IV-Empfänger. Vergangene Woche hat sie ihren Jahresbericht 2016 vorgestellt. Demnach werden rund fünf Prozent der 10 000 Antragsteller im Landkreis Esslingen beraten, Tendenz steigend.

Wut, Resignation, Ohmacht, Unverständnis und Ärger

Unter den Betroffenen herrscht Wut, Resignation, Ohnmacht, Unverständnis und Ärger. Auslöser dieser Gefühle sind unter anderem vielseitige Formulare und Vorschriften, die in einem Behördendeutsch verfasst sind, das viele Betroffene nicht verstehen. „Das blickt kein Mensch mehr“, sagt der Armutsexperte und Hartz-IV-Berater Frieder Claus. Ein Hartz-IV-Antrag sei umfangreicher als eine Steuererklärung. Und wer sich in dem Wirrwarr aus Formularen verheddert, dem können schnell Leistungen gekürzt werden. In der unabhängigen Beratung wird den Menschen geholfen, an jene Unterstützung zu kommen, die ihnen per Gesetz zusteht.

Dass die Arbeit der Hartz-IV-Berater überhaupt notwendig ist, damit die Menschen zu den ihnen zustehenden Leistungen kommen, liege auch an der Arbeitsweise der Jobcenter. „Eine Beratung findet dort fast nicht statt“, klagt Claus. Allerdings betont er, dass den einzelnen Mitarbeitern dafür oft nicht die Verantwortung gegeben werden könne und die Zusammenarbeit mit dem Jobcenter grundsätzlich gut sei.

Die Behördenmitarbeiter hätten viel zu viele Fälle zu bearbeiten und seien obendrein meist nur durch einen „Crashkurs“ mit den umfangreichen Gesetzen, Vorschriften und Formularen vertraut gemacht worden. Die Fluktuation sei ferner sehr hoch. Alle zwei Jahre sei rund die Hälfte der Mitarbeiter wieder ausgewechselt, erklärt Claus. Die Leistungsempfänger bekämen oft nicht einmal mehr den Namen ihres Sachbearbeiters mitgeteilt, ganz zu schweigen davon, dass sich der Antragsteller und der Sachbearbeitern einmal von persönlich sehen. Ein leitender Sachbearbeiter habe zwischen 300 und 400 Fälle zu bearbeiten.

„Das ist ein bürokratisches Monster.“

Besondere Probleme bereiten vielen Menschen beispielsweise die Bildungs- und Teilhabepakete für Kinder. „Das ist ein bürokratisches Monster“, sagt Claus. Es wäre aus seiner Sicht besser, einfach die Hartz-IV-Sätze zu erhöhen. Ein weiterer Knackpunkt ist für viele Menschen der Mietkostenzuschuss, der besonders in Ballungsgebieten den Realmieten hinterherhinke. Die Folge sei, dass sich viele Menschen von ihren Hartz-IV-Sätzen Geld vom Munde absparten, um irgendwie noch die Miete bezahlen zu können.

Das Jobcenter bestätigt auf Nachfrage die beschriebenen Umstände im Kern. Anträge auf Sachleistungen würden von mehreren Personen bearbeitet, teilt der Geschäftsführer des Jobcenters Landkreis Esslingen, Werner Schreiner, schriftlich mit. Die Sachbearbeiter und die Leistungsempfänger würden sich meist tatsächlich nicht persönlich kennen. Allerdings gebe es neben den Sachbearbeitern noch die Arbeitsvermittler, die den persönlichen Kontakt zu den Arbeitssuchenden hätten. Die individuelle Beratung lebe geradezu davon, dass sich der Berater und der Jobsuchende kennten, betont Schreiner. Darüber hinaus gebe es an allen vier Standorten im Landkreis, also in Esslingen selbst, in Kirchheim, Leinfelden-Echterdingen und Nürtingen, einen Empfangsbereich. „Bereits dort können alle Anliegen unserer Kunden vollständig aufgenommen und in sehr vielen Fällen geklärt werden“, meint der Jobcenter-Geschäftsführer. Und wer etwas am Telefon regeln möchte, könne sich an einen der „speziell geschulten“ Mitarbeiter des Service-Centers werden.

Dass die Mitarbeiter sich in ihren Sachgebieten nicht gut auskennen und lediglich in einem „Crashkurs“ geschult würden, das möchte das Jobcenter so nicht stehen lassen. Die Mitarbeiter würden „intensiv geschult und eingearbeitet“, heißt es in einem schriftlichen Statement. Allerdings muss der Geschäftsführer Schreiner zugeben, dass es in der Vergangenheit häufige Wechsel beim Personal gab. Doch das habe sich inzwischen geändert.