Ob mit oder ohne Mundschutz, das Einkaufen unter freiem Himmel ist in Corona-Zeiten beliebter denn je. Foto: Ines Rudel

Trotz Abstand: Der Esslinger Wochenmarkt vermittelt in der Corona-Krise ein Stück Normalität. Das wissen die Kunden, wie auch die Händler zu schätzen.

Esslingen - Ein Strauß Narzissen und ein Gesteck mit bunten Primeln wird über den breiten Tisch gereicht: ein klein wenig florale Freude in einer ausgesprochen seltsamen Zeit. Es könnte vielleicht ein spontanes Lächeln sein, das unvermittelt über das Gesicht der jungen Kundin huscht. Eine exakte Einordnung ihres momentanen Gemütszustands ist wegen des selbst gebastelten Mundschutzes, den sie trägt, aber unmöglich.

Ansonsten allerdings läuft auf dem Esslinger Wochenmarkt fast alles wie immer. Okay, das geschäftige Treiben wurde coronabedingt entzerrt. Bis rüber vor das Neue Rathaus reichen jetzt die Stände. Sinnvollerweise. Denn auf der angestammten Fläche wäre es für die Besucher schwierig, die vorgeschriebenen Abstandsregeln einzuhalten. So ist alles, im wahrsten Sinne des Wortes, luftiger. Außerdem wirkt der Markt insgesamt leerer. Doch der Schein trügt.

Regionalität wird geschätzt

Jürgen Merz, der Vorsitzende des Marktvereins, spricht vielmehr davon, dass der Zuspruch gestiegen ist: „Die Leute sind in diesen Tagen gerne im Freien und nutzen jede Gelegenheit dazu. Viele scheinen gerade jetzt die Regionalität noch einmal mehr zu schätzen.“ Und der Gärtnermeister bekommt sogar seine Schnittblumen verkauft. „Andernorts scheint das deutlich schwieriger. Bei uns gibt es aber noch einen großen Bedarf, sagt er. Merz freut sich für die Kundschaft ebenso wie für Marktbeschicker: „Die einen sind froh über das bestehende Angebot, die anderen sind zufrieden, dass sie etwas absetzen können und deshalb auch so gut wie alles da“, betont Merz.

Lücken gibt es auf dem Esslinger Marktplatz, von den gewollten mal abgesehen, praktisch keine. Lediglich das Barista-Mobil namens Hibou von Evita Hamon fehlt. Für die Kaffee-Expertin geht Sicherheit vor. „Wir laden die Menschen bei uns ja extra zum Verweilen auf dem Markt ein. Und ich weiß auch gar nicht, ob wir das dürften. Aber selbst wenn wir’s dürften, fände ich es riskant und respektlos obendrein“, betont Hamon, die darauf hofft, dass es bald wieder anders wird.

Die Umarmung fällt aus

Mohammed Zakar, besser bekannt als Momo, der auf dem Wochenmarkt einen Obst- und Gemüsestand betreibt, kann da nur zustimmen: „Auch wenn die Geschäfte besser laufen als sonst, fehlt mir der direkte Kontakt zu den Leuten, von denen ich viele zum ersten Mal an meinem Stand sehe.“ Quatschen könne man zwar schon und darauf hoffen, dass alle auch nach Corona weiterhin kämen. „Aber mein eigentliches Markenzeichen ist es, die Stammkunden in den Arm zu nehmen und zu drücken. Das geht jetzt leider nicht mehr“, bedauert Momo. Was ihn hingegen außerordentlich freut: „Alle sind sehr großzügig. Wir bekommen Trinkgeld, Schokolade oder auch mal ne Brezel.“

Diese Dankbarkeit verspürt auch Renate Diener, die als eines der Urgesteine auf dem Wochenmarkt seit 50 Jahren vor allem Eier verkauft. „Da stellt dir mal jemand einen Kaffee hin oder bringt sogar ein Geschenkle vorbei“, sagt sie lachend, ist aber vor allem froh, „dass wir hier schaffen dürfen“. Angst vor dem Virus habe sie keine, auch wenn die Stimmung bei vielen hektisch und nervös sei. „Aber ich denke positiv, obwohl die Mehrarbeit recht anstrengend ist“, erklärt Renate Diener und liefert die Erklärung für den gewachsenen Zuspruch gleich mit: „Viele haben ungewohnt viel Zeit und zuhause muss gekocht werden, weil die Mensen und Kantinen zu sind.“

Gelegenheit zum Austausch auf Distanz

Tobias Dyndas vom Metzger-Wagen nebenan sieht das genauso: „Wir haben jede Menge zu tun, kommen kaum noch hinterher und könnten mehr Personal brauchen, weil es besser läuft als sonst.“ Die Menschen hätten mehr Zeit und seien glücklich, dass sie Einkaufen gehen könnten. „Außerdem ist das eine Gelegenheit sich auszutauschen und miteinander zu reden“, hat Dyndas festgestellt und deutet auf die Warteschlange. Tatsächlich stehen dort zwei ältere Frauen in gebührendem Abstand zueinander und halten ihr kleines Schwätzchen einfach auf größere Distanz.

Claudia Colonius ist hingegen nur zum Einkaufen gekommen. Die Esslingerin kommt regelmäßig auf den Wochenmarkt und findet es gut, „dass es den in dieser Zeit noch gibt“. Die Stimmung sei zwar anders, aber in Ordnung. „Mir fehlen die üblichen Gespräche, der Small-Talk und vor allem samstags auch der Kaffee“, sagt sie und packt sich die eben erstandenen Antipasti in die Einkaufstasche. Friedrich Gehlen gehört ebenfalls zu den Stammgästen, wenn die Stände mittwochs und samstags aufgebaut sind. Er schätzt das regionale Angebot sowie die Qualität und die Frische der Lebensmittel. Zum Plaudern komme er auch sonst eher nicht hierher. Jetzt noch weniger. „Es fehlen einfach die Themen, wenn man nicht über die Krise reden möchte“, sagt der Esslinger und wird kurz darauf aus angemessener Entfernung von Momo begrüßt.

Kein Streit ums Klopapier

Frank Schäfer aus Aichwald outet sich derweil als „Gelegenheitsgast“. Er gehe für gewöhnlich in größere Läden, wo er alles, was er brauche, auf einmal bekomme. Auf den Esslinger Marktplatz hat es ihn heute unter anderem gezogen, „weil ja sonst nirgends was los ist“. Es habe aber auch noch einen anderen Grund gegeben: „Mir geht es gerade ziemlich auf die Nerven, wie sich manche Zeitgenossen im Supermarkt aufführen und sich um Nudeln und Klopapier streiten, als würde morgen der Versorgungsnotstand ausbrechen.“ Da sei ihm die entspannte Stimmung auf dem Wochenmarkt in Esslingen weit lieber.