Es ist kalt, es ist mühsam, aber man schafft es gemeinsam: Neckarsulmer Schüler bei der Lese im eigenen Wengert. Foto: factum/Granville

Das Neckarsulmer Albert-Schweitzer-Gymnasium gründet die bundesweit erste Schüler-Weinbaugenossenschaft. Die Schüler sind künftig für die Hege, Pflege und Vermarktung des Schulweins verantwortlich.

Neckarsulm - Mancher ältere Neckarsulmer hat diese Schmach nie überwunden. 1855 haben sich die Wengerter der Nachbarstadt von Heilbronn in einer Weingärtnergenossenschaft zusammengetan, der ersten überhaupt in Deutschland. Doch diese ist seit 2007 nur noch Geschichte. Die Weingärtnergenossenschaft Neckarsulm-Gundelsheim ist von der Heilbronner WG, der größten Einzelgenossenschaft Deutschlands, geschluckt worden.

Die Schüler des Albert-Schweitzer-Gymnasiums (ASG) heilen diese Wunde nun. Als bundesweit erste Schule gründen sie eine Weingärtnergenossenschaft und bewirtschaften am Scheuerberg einen eigenen, zehn Ar großen Wengert in Steillage. „Damit haben wir uns einen Traum erfüllt, den schon mein Vorvorgänger geträumt hat“, sagt Marco Haaf (43), der Schulleiter des ASG mit seinen knapp 800 Schülern.

Der alte Traum vom Schulweinberg wurde hopplahopp wahr

Eingetragene Schülergenossenschaften gibt es einige im Land. 21 solcher Zusammenschlüsse sind im baden-württembergischen Genossenschaftsverband registriert. Partnerverbände kontrollieren die Buchführung der jungen Genossen, ganz egal ob sie Schul-T-Shirts produzieren, jeden Morgen frische Früchte verkaufen oder Catering für Veranstaltungen anbieten. Die Jungwinzer aus dem noch immer vom Weinbau geprägten Neckarsulm mit 26 000 Einwohnern werden als 22. eingetragene Schülergenossenschaft von ihrer Partnergenossenschaft geprüft, der Heilbronner Volksbank.

Der alte Traum ist hopplahopp Realität geworden. Der Wengert am Neckarsulmer Scheuerberg gehört der Stadt. Der Pächter habe seinen Vertrag für das 40 Ar große Steillagenstück nicht verlängert, weil ihm die Bewirtschaftung zu mühselig geworden sei, erzählt Marco Haaf: „Vom Spritzen bis zur Lese ist dort alles Handarbeit“, an maschinelle Unterstützung ist nicht zu denken. Die Stadt fand keinen Nachfolger. „Jetzt oder nie“, dachte sich Haaf.

Die Neckarsulmer Jungwinzer sicherten ihre Unterstützung zu, auch die Wengerterfamilie Berthold versprach tatkräftige Hilfe – Ehrensache, die Tochter Theresia unterrichtet am ASG. Obendrein kann Haaf auf königlichen Segen hoffen. Denn mit Michaela Metzger sitzt immerhin eine ehemalige württembergische Weinprinzessin im Sekretariat des Albert-Schweitzer-Gymnasiums: So viel Fachwissen sollte doch reichen, dachte Haaf und sicherte sich zehn Ar der städtischen Fläche – vorerst.

Die Schüler sind ihr eigener Chef

Das Besondere: Der Wengert wird jahrgangsübergreifend und fächerübergreifend umgetrieben, betreut und vermarktet. Die siebten Klassen sind das Schuljahr über im Rahmen des Biologieunterrichts für die Arbeit im Weinberg zuständig. Sie schneiden die Reben, reduzieren das Laub und übernehmen die Lese. Die Achter verantworten den unternehmerischen Teil.

Gerade tüfteln sie im Wirtschaftsunterricht noch an der Satzung ihres künftigen Unternehmens. Sicher ist schon das Ziel: „Man nimmt sich eigentlich immer vor, mehr Geld einzunehmen als auszugeben“, konstatiert Emmi. Das nennt man dann Gewinn. Mit dem Begriff Fehlbetrag tut sie sich schon schwerer. Aber „Befehlsbeträge“ will man mit dem Weinberg ja auch gar nicht erwirtschaften.

Kirschessigfliege sucht den Weinberg heim

Die Neuner sind im Kunstunterricht für das Design zuständig – die Etiketten, die Werbung. Und die zehnten Klassen begleiten den Ausbau des Weins, schließlich geht es im Chemieunterricht um die alkoholische Gärung der Trollingertrauben. Diese wachsen am Scheuerberg, „der Trollinger gehört nun mal zum Land“, sagt der Rektor.

Über mangelnde Nachfrage kann er direkt nach der ersten Lese nicht klagen: „Ich habe jede Menge Mails von Ehemaligen bekommen, die sich eine Flasche sichern wollen“, berichtet Haaf und lacht. „Wir könnten jeden Preis verlangen.“ Nicht alle Trauben werden aber zu Wein gekeltert, der Großteil soll zu alkoholfreiem Traubensecco verarbeitet werden.

Chiara und Marlon haben seit dem Frühjahr den Wengert gepflegt, sie haben die Reben geschnitten, entlaubt – und am Schluss auch gelesen. Was sich angesichts der vollen Reben und des reichen Sommers so hoffnungsvoll angelassen habe, sei am Schluss „nichts Schönes“ gewesen, wie Haaf sagt. Ganz schön kalt sei es gewesen, erzählt Marlon (12), ganz schön klebrig und stinkend, klagt Chiara (13). Kurz vor dem Lesebeginn hatte nämlich die Kirschessigfliege den Weinberg heimgesucht. Die Schüler mussten früher ran als geplant.

Stundelanges Klauben in eisiger Kälte

In einer stundenlangen Klauberei haben die Schüler die einzelnen, noch nicht befallenen und nach Essig stinkenden Trauben herausgefischt, während ihnen ein eiskalter Wind um die Ohren pfiff. Dennoch. „Ich fand es schön zu sehen, wie sich das alles entwickelt“, sagt Chiara, der das Entlauben am meisten Spaß gemacht hat. Marlon, dessen Großeltern früher selbst einen Weinberg hatten, hat es genossen, zusammen mit der ganzen Klasse im Wengert zu arbeiten.