Uwe Ochsenknecht in der Komödie „Gold“ bei den Wormser Nibelungenspielen Foto: dpa

Unter den Augen des Bundestrainers: Nuran David Calis hat die Wormser Nibelungenfestspiele mit der Uraufführung von „Gold“ eröffnet, einer Komödie des Münchner Stückeschreibers Albert Ostermaier.

Worms - Der Papst spielt jetzt auch mit in Worms. Zu verdanken ist das allerdings keinem der hier üblichen Besetzungscoups, sondern schlicht irdischen Renovierungsarbeiten, denen sich der Dom der pfälzischen Kleinstadt gerade unterzieht. „Barmherzigkeit verwandelt Euer Herz“ verkündet Franziskus auf dem Werbebanner, das in dreißig Meter Höhe an einem Baugerüst hängt – eine weise Botschaft, die unten freilich nicht erhört wird, da kann der Pontifex noch so milde lächeln, wie er will. Unten, auf der Spielfläche vor der Domkulisse, suhlt man sich nämlich in Hass und Rache, in Neid und Gier, in Eifersucht und Größenwahn. Kurzum: im Stoff der Nibelungen, des deutschesten aller deutschen Mythen, der hier unter freiem Himmel seit 15Jahren mit enormer Beharrlichkeit durchgenudelt wird, immer unter Aufbietung von Stars aus Film und Fernsehen.

Man will ja hoch hinaus, am liebsten dorthin, wo der Papst schon ist: an die Spitze! Das war das erklärte Ziel des Fernsehmanns Dieter Wedel, der die Nibelungenfestspiele 2002 gegründet und sie mit Erfolg als nationales Festival etabliert hat. Im vergangenen Jahr übernahm Nico Hoffman die Intendanz, wieder ein Fernsehmann, und schraubte die Ansprüche noch höher. Man schielt in Worms jetzt offen nach Salzburg, mithin zu den großen Sommerfestivals in Europa, und lässt sich beim künstlerischen Personal noch weniger lumpen als zuvor. Sichtbarster Ausdruck des Willens zum Aufstieg: der als Hausautor engagierte Albert Ostermaier, einer der wichtigsten zeitgenössischen Dramatiker deutscher Sprache, der für die Festspiele an einer Nibelungen-Trilogie arbeitet. Teil eins ging 2015 unter dem Titel „Gemetzel“ über die Bühne und war eine Psychotragödie, die ihre Feinheiten vor der gewaltigen Domkulisse allerdings nur schwer behaupten konnte. Teil zwei heißt jetzt „Gold“ und macht alles anders, aber nicht unbedingt besser. Das Stück vermengt die mittelalterliche Sage mit der neuzeitlichen Welt von Show- und Filmbusiness und ist: eine Komödie. Der bei der Uraufführung anwesende Joachim Löw hätte dazu wohl Taktik-Wechsel gesagt.

Eine Typenrevue, die alles darf außer eines: langweilen

Um diese neue Spielweise vor 1300 Zuschauern ausbreiten zu können, greift Ostermaier zu einem alten Trick. Er zeigt Dreharbeiten – die Dreharbeiten eben zu „Gold“, des hippen Nibelungen-Projekts des superkreativen Filmregisseurs Arsenij Kubik. Er blickt hinter die Kulissen und entdeckt den „nackten Wahnsinn“, wie es in Anspielung auf die gleichnamige Theaterfarce von Michael Frayn heißt. Zicken und Diven auf weiblicher, Gecken und Großmäuler auf männlicher Seite, vereint im Nachspielen der Hühner und Hünen, die Kriemhild und Brünhild, Hagen, Gunter und Siegfried heißen; dazu das Team um den kunstbesessenen Kubrick, pardon: Kubik, inklusive des von Uwe Ochsenknecht gespielten krebskranken Produzenten Konstantin Trauer, der mit dem nur auf Video erscheinenden Heiner Lauterbach als Wormser Bürgermeister Franz Koppoler skypt, einem imagegeilen Kennedy aus der Provinz – und wem jetzt ob all der Klischees schwindlig geworden ist, hat schon eine zutreffende Vorstellung von dem, was die buntscheckige Inszenierung bietet. Der Regisseur Nuran David Calis, sonst für differenziertes politisches Theater zuständig, entfesselt mit sechzehn Spielern eine hochtourige Typenrevue, die alles darf, außer eines: langweilen.

Auf der Cinemascope-Bühne ist folglich immer was los. Private Katastrophen finden in transparenten, vom Publikum einsehbaren Künstlergarderoben statt, öffentliche Katastrophen im Filmset davor. Und weil beides fast immer auf eine Großleinwand übertragen wird, kommt man aus dem Zuschauen ebenso wenig raus wie aus dem Zuhören, denn natürlich sorgt Calis auch für einen durchgehenden, von einer orientalischen Hunnen-Combo live gespielten Soundtrack. Mit Balkanfolklore und Klezmerjazz, schräg und punkig, feuert sie die Klischees auf zwei Beinen fast pausenlos an. Zugegeben, manche davon sind amüsant, vor allem der Schmierenreporter des Dominic Raacke, der sich Dennis Hopper aus Coppolas „Apocalypse Now!“ in herrlicher Schamlosigkeit als Vorbild nimmt. Respekt!

Dennoch ächzt „Gold“ zunehmend unter der Last der Lustigkeit, die ihm aufgebürdet wird – und, paradox, auch unter der Ernsthaftigkeit, die ihm Calis und Ostermaier tiefer schürfend doch noch unterjubeln wollen. Drei Stunden, dann ist ihr mit enormen Aufwand betriebenes Spiel unter den Augen des Bundestrainers vorbei. Doch wir blicken hinauf zum Papst und öffnen unser Herz dem Barmherzigkeits-Appell: Worms ist zwar noch nicht Salzburg, aber die Provinz hat es bei aller Mäkelei doch schon weit hinter sich gelassen.

Aufführungen täglich bis zum 31. Juli, nur der 25. Juli ist spielfrei. Am 23. Juli, 20.15 Uhr, zeigt 3 Sat eine Aufzeichnung des Theaterstücks.