In den Gefängnissen gibt es immer mehr psychisch auffällige Häftlinge – doch wer soll sie behandeln? Foto: dpa

Der Bruchsaler Gefängnischef Thomas Müller ist nicht am Hungertod des psychisch kranken Gefangenen Rasmane K. schuld. Zu diesem Ergebnis kommt jetzt die Karlsruher Staatsanwaltschaft, die fast ein Jahr lang gegen den Juristen wegen fahrlässiger Tötung ermittelt hat.

Bruchsal - Der Bruchsaler Gefängnischef Thomas Müller ist nicht am Hungertod des psychisch kranken Gefangenen Rasmane K. schuld. Zu diesem Ergebnis kommt jetzt die Karlsruher Staatsanwaltschaft, die fast ein Jahr lang gegen den Juristen wegen fahrlässiger Tötung ermittelt hat.

Müller, der seit dem deutschlandweit beachteten Todesfall im August vergangenen Jahres vom Dienst suspendiert ist, habe vielmehr darauf vertrauen dürfen, dass eine Gefängnisärztin den Gesundheitszustand des Häftlings ausreichend überwacht, teilten die Ermittler am Dienstag mit.

Ihre Kernbotschaft: „Nach Vernehmung von mehr als 30 Zeugen, Einholung mehrerer medizinischer Gutachten und Auswertung von Krankenunterlagen konnte nicht festgestellt werden, dass die für den Gefangenen bestehende Todesgefahr für den suspendierten Anstaltsleiter erkennbar und der Tod damit für ihn vorhersehbar war.“

Den Schwarzen Peter hat nun also allein die Ärztin, die für die medizinische Betreuung des aus Burkina Faso stammenden Häftlings verantwortlich war. Der 1,85 m große Mann hatte wegen seiner psychischen Erkrankung so großes Misstrauen gegenüber allen Bediensteten, dass er nicht nur mehrfach gewalttätig gegen sie wurde, sondern auch das Anstaltsessen verweigerte – aus Furcht, vergiftet zu werden.

Über Monate ernährte er sich von selbst gekauftem Müsli – mit der Folge, dass er vor seinem Tod nur noch 57 Kilo wog. Die Ärztin allerdings habe „die Ernährung mit Müsliprodukten als nicht lebensgefährdend beurteilt“, teilen die Ermittler mit. Dies sei auch dem Gefängnischef zugetragen worden. Während sie diesem keinen persönlichen Schuldvorwurf machen, werfen sie der Medizinerin „fahrlässige Tötung durch Unterlassen vor“.

Die 55-jährige Angestellte, die seit November im Vollzugskrankenhaus auf dem Hohenasperg arbeitet, gilt als erfahrene Fachärztin für Allgemeinmedizin. Bevor sie nach Bruchsal kam, hatte sie laut Justizministerium im Jugendgefängnis Adelsheim, aber auch in einer psychosomatischen Klinik gearbeitet, wo auch magersüchtige Patienten behandelt werden. Dies dürften die Ermittler berücksichtigt haben, wenn sie nun zum Schluss kommen, die Ärztin hätte erkennen müssen, dass der Gefangene Hilfe braucht – notfalls unter Zwang.

Ob diese Argumentation vor Gericht trägt, ist allerdings noch offen. „Hinreichender Tatverdacht“ heiße lediglich, dass nach Aktenlage eine Verurteilung als wahrscheinlich erachtet werde, räumt die Staatsanwaltschaft ein. Und Justizminister Rainer Stickelberger rät „dringend“ dazu, die gerichtlichen Entscheidungen abzuwarten.

Allerdings könnte allein schon die Anklage gegen die Gefängnisärztin – das Verfahren wird wegen des großen öffentlichen Interesses beim Landgericht beantragt – einen erheblichen Kollateralschaden für die Justiz verursachen. Denn eine Ermunterung für Mediziner, im Auftrag von Haftanstalten Dienst zu tun, ist der Fall nicht gerade.

„Die müssen doch befürchten, dass sie gleich mit zwei Füßen im Gefängnis stehen“, sagt Karl Zimmermann, Strafvollzugsbeauftragter der Landtags-CDU. Es sei ohnehin schon schwer, angesichts der mageren Bezahlung im öffentlichen Dienst medizinisches Personal zu gewinnen. Die Anklage gegen die Bruchsaler Ärztin könnte diese Not noch vergrößern.

Dabei leiden die Anstalten schon jetzt unter Personalnot, wie auch der Fall eines zweiten Gefangenen belegt, der in Bruchsal starb. Im April 2015 wurde Maximilian S. in derselben Zelle tot aufgefunden, in der im Jahr zuvor Rasmane K. verhungert war. Woran er starb und ob er sich selbst tötete, steht zwar noch nicht zweifelsfrei fest. Klar ist nur, dass Methadon im Spiel war. Doch dass die Krankenabteilung viel zu knapp besetzt sei, diese Klage bekam Stickelberger mehrfach auf den Schreibtisch. Nach Ansicht des CDU-Rechts- und -Sozialpolitikers Bernhard Lasotta hat der Minister den Mangel in Bruchsal viel zu lange hingenommen.

Dabei hatte die von Stickelberger eingesetzte Expertenkommission doch erst vor kurzem gefordert, die großen Haftanstalten flächendeckend mit einer zweiten Arztstelle auszustatten. Doch was, wenn sich dafür niemand findet? Wenn sich die Fachleute Mitte Juli wieder treffen, um über den Umgang mit psychisch auffälligen Gefangenen zu beraten, werden sie diese Frage beantworten müssen.

Für Müller ist die Sache übrigens noch nicht vollständig vom Tisch. Nach wie vor läuft gegen ihn ein Disziplinarverfahren, weil sich herausgestellt hat, dass Meldepflichten zur Genehmigung der Einzelhaft verletzt wurden. Ob der Jurist, der in Vollzugskreisen hohes Renommee besitzt, jemals wieder auf seinen alten Posten zurückkehrt, ist derzeit jedenfalls noch offen. Die Leitung in Bruchsal hatte zunächst sein Heilbronner Kollege übernommen. Vor kurzem wurde dieser vom Leiter der Freiburger Anstalt abgelöst – kommissarisch. Von Normalität ist Bruchsal also noch weit entfernt.