Von 1972 bis 1988 betrieb Breuninger ein Mineralbad im obersten Stock Foto: Breuninger

Bis 1988 hat Breuninger ein Mineralbad über den Dächern der Stadt betrieben, dem viele Stuttgarter nachtrauern. Jetzt ist dieser legendäre Ort zum Abenteuerländle der Band Pur geworden. StN-Kolumnist Uwe Bogen war dabei – beim ersten Pur-Konzert seines Lebens.

Stuttgart - Zugegeben, es ist nicht sonderlich schwer, die Band Pur mit Sänger Hartmut Engler peinlich, spießig und unsexy zu finden. Keine deutsche Popgruppe ist in den vergangenen 30 Jahren so oft verrissen worden wie die Schwabenformation aus dem Abenteuerland – und kaum eine deutsche Popgruppe war so erfolgreich. Pur polarisiert. Entweder man findet sie total toll oder völlig unerträglich. Dazwischen, so dachte ich, gibt es nichts. Man kann sich täuschen.

Bisher ist mir niemals in den Sinn gekommen, mich als Pur-Fan hervorzutun. Mehr Spaß hat es gemacht, über die Schnulzenrocker zu spotten, die alle Konflikte des Lebens in ihrer simpelsten Form abhandeln.

Das erste Mal mit Pur

Natürlich wäre ich nie so weit gegangen wie der Autor Wiglaf Droste, der als geistiger Kopf der Pur-Hasser-Bewegung die bösesten Vergleiche verfasst. Beispiel: „Die Musik von Pur muss man sich vorstellen wie eine fremde, warme, feuchte Hand, die sich ungefragt auf deinen Oberschenkel legt.“

Und jetzt hab’ ich mich freiwillig dieser fremden, warmen, feuchten Hand genähert – beim ersten Pur-Konzert meines Lebens. Es hat nicht mal in den Ohren wehgetan. Ich fand mich wieder inmitten von ausgeflippten Hipstern, die mit ihren coolen Bärten überhaupt nicht nach Pur-Fans aussahen, die aber abgingen wie Schmidts Katze.

Mein erstes Mal hatte ich mit Pur dort, wo Breuninger bis 1988 sein legendäres Mineralbad betrieben hat, dem die älteren Stuttgarter nachtrauern und vom dem viele junge Stuttgarter nichts wissen – also über den Dächern der Stadt. Heute befindet sich an dieser Stelle – noch eine Treppe über dem Restaurant Karls Kitchen – die Mitarbeiterkantine. Normalerweise dürfen keine Fremden hier hoch. Es sei denn, Pur gibt ein Privatkonzert für 200 ausgewählte Kunden.

Engler nimmt ein Bad in der Menge

Dass die Band von Breuninger kostenlos eingekleidet wird, ist bei Jeans und T-Shirt tragenden Musikern nicht auf Anhieb zu erkennen. Gesponserte Klamotten bringen nicht immer Glück – wie sich beim VfB zeigt, der vom selben Kaufhaus angezogen wird. Nur Pur ist auf Platz eins – mit dem Album „Achtung“, das nach jahrelangem Pur-Mobbing einen Neuanfang markiert. Seit Hartmut Engler bei Vox in der Sendung „Sing meinen Song“ aufgetreten ist, sagt er, werden ihm Achtung und Respekt selbst von einstigen Pur-Hassern entgegengebracht.

Ist doch schön, wenn wir uns alle lieb haben! „Achtung“ heißt das neue Erfolgsalbum – und Achtung, jetzt kommt zum Konzert im früheren Mineralbad der Megagag: Engler nahm ein Bad der Menge!

Durch die wenigen Reihen der vor Begeisterung tobenden Zuschauer ist der Pur-Frontmann gefegt, wirkte sehr dynamisch, sportlich, musikalisch topfit mit einer exzellenten Band. Die nicht mehr ganz so jungen Herren rockten den kleinen Saal. Wäre das 25-Meter-Becken noch drin – das Wasser wär’ im Wellenschlag übergelaufen.

1972 wurde das Mineralbad eröffnet

1971 waren Arbeiter beim Ausheben der Baugrube für den Breuninger-Markt am Marktplatz auf eine Quelle gestoßen. Da es sich um eine mineralhaltige Schüttung handelte, überlegte der Firmenchef Heinz Breuninger nicht lange und ließ das Mineralbecken mit Freibereich bauen. Eröffnung war 1972. Auf einem großartigen Foto vom Breuninger-Bad aus den 1970ern, das im StN-Buch „Stuttgart-Album“ erschienen ist, sieht man eine junge Schwimmerin mit einer mit Noppen verzierten Bademütze.

Auf Facebook habe ich nach dem Pur-Konzert dieses Foto gepostet. Die meisten Likes bekam ein Kommentator, der für sich klar entschieden hat. „Ich würde die Schwimmerin mit Noppen JEDERZEIT Pur vorziehen.“ Nein, nein, das ist kein Pur-Bashing. Auch diese Meinung sollten wir respektieren. Und Respekt ist die erste Stufe der Bewunderung.