Ennio Morricone in Berlin Foto: dpa

Ennio Morricone (85) hat mit seinen Kompositionen seit den 1960er Jahren über 500 Filmen einen ganz eigenen emotionalen Ton verliehen. Nun tourt er durch Europa. Am Dienstag ist er in Berlin aufgetreten. Am 7. Dezember kommt er nach Stuttgart.

Berlin - Dieses bittersüße Aufbrausen des Orchesters bedeutet ein Wiedersehen mit dem gutherzigen Filmvorführer aus „Cinema „Paradiso“. Wenn Streicher mit Synkopen versuchen, ein Cembalo aus der Fassung zu bringen, begibt sich Jean Paul Belmondo als „Der Profi“ noch einmal auf tödliche Mission. Wenn sich die Geigen zart zu einem Kontrabass-Ostinato im Kreis drehen, meint man die kleine Deborah wieder zu sehen, die in „Es war einmal in Amerika“ in einem staubigen Lagerraum zwischen Mehlsäcken die Ballerina spielt. Und wenn Hayley Westenras Stimme in ihrem wortlosen Vibrato die ganze Traurigkeit der Welt in sich aufgesaugt hat, ,schimmern durch die Musik Großaufnahmen der Gesichter Charles Bronsons, Henry Fondas und Claudia Cardinales aus „Spiel mir das Lied vom Tod“ hindurch.

Die Melodien, die Ennio Morricone für Filme geschrieben hat, haben sich ins kollektive Gedächtnis eingebrannt. Sie liefern inzwischen die Bilder mit, ohne sie zeigen zu müssen, und sind auch so ganz großes Kino. Die Leinwände rechts und links der Bühne der 02 World in Berlin bleiben daher am Dienstagabend leer. Nur hin und wieder werden dort die Titel der Stücke eingeblendet, die das 84-köpfige Orchester und der 75 Stimmen umfassende Chor gerade unter Morricones Anleitung aufführen.

Unerhört leichtfüßig für einen 85-Jährigen bewegt sich der Maestro auf der Bühne, bedankt sich stets sehr bescheiden für den Applaus. Er hat sein filmmusikalisches Gesamtwerk zu einem vielstimmigen Tonkunstwerk verdichtet. Morricone erweist sich dabei vor allem als Überwältigungskünstler, der jedes Genre emotional aufzuladen versteht: Thriller („Die Unbestechlichen“, „Der Profi“) ebenso wie Melodramen („Cinema Paradiso“) und natürlich Western („Spiel mir das Lied vom Tod“, „Zwei glorreiche Halunken“). Wobei Morricone in einem kurzen Film, der vor dem Auftritt gezeigt wird, behauptet, dass er eigentlich nie Westernmusik gemacht habe, sondern dass seine Musik nur so gedeutet wurde.

Obwohl Morricone sein Konzert jetzt ausschließlich mit Filmmusiken bestreitet, sieht er sich in diesem Teil seines Œuvres nur als Dienstleister. Der Mann, der einst in Darmstadt Musik studierte, unterscheidet zwischen absoluter Musik, die nur sich selbst bedeutet, und Komplementärmusik, die dazu dient, etwas bereits Vorhandenes zu ergänzen.

Es hat natürlich viel mit Koketterie zu tun, wenn er seine Filmmusiken als so unbedeutend abtut. Denn auch Morricone, der einen Oscar für sein Lebenswerk im Schrank stehen hat, weiß natürlich ganz genau, dass er stets viel mehr gemacht, geleistet hat, als nur Filmbilder zu vertonen.

Und die 13 000 Zuhörer in Berlin wissen das auch. Einige im Publikum können es darum nicht lassen, immer dann zu klatschen, wenn sie eine der Melodien erkennen. Und tun damit vielen der Stücke unrecht, die das Pech hatten, den Soundtrack schlechter oder mittelmäßiger Filme zu schmücken. Oder die zu Werken gehören, die vom Zeitgeist vergessen wurden.

Natürlich ist es ergreifend, wenn das Orchester und der Chor das Titelthema aus „Spiel mir das Lied vom Tod“ anstimmen, wenn das Kojoten-Motiv aus „Zwei glorreiche Halunken“ zwischen den Instrumenten hin und her wechselt, wenn die Musik aus „Cinema Paradiso, „Der Profi“ oder „Mission“ vorführt, wie souverän Morricone es versteht, aus Klassik, Jazz, Rock und Schlager eine eigene, mit Schwermut getränkte Kunstform zu erschaffen.

Doch mindestens genauso beeindruckend sind unbekannte Stücke. Etwa die Musik aus dem Politfilm „Der Weg der Arbeiterklasse ins Paradies“ (1971), in der das Orchester – pfeifend, brummend, stampfend – eine Maschinensinfonie spielt, aus der eine Violine mit einem zögerlichen Motiv auszubrechen versucht. Es gibt noch viele Kostbarkeiten zu entdecken im erstaunlichen Gesamtwerk Ennio Morricones.

Ennio Morricone gastiert mit seiner „50 Jahre Musik“-Tour am 7. Dezember in der Stuttgarter Schleyerhalle. Tickets gibt es beim Veranstalter Music Circus unter 07 11 / 22 11 05 oder im Internet unter www.musiccircus.de