Mit einem Pilotprojekt in Ostfildern-Ruit wird seit 2018 getestet, wie kritische Situationen durch gestaffelte Ladezeiten verhindert werden können. Foto: dpa

An Energie für Elektroautos mangelt es insgesamt nicht, aber eine stabiles Netz auf lokaler Ebene ist noch eine Herausforderung für die Energieversorger.

Stuttgart - Noch sind Elektroautos selten auf den deutschen Straßen. Anfang dieses Jahres waren von den insgesamt 47 Millionen Pkw nur 83 000 reine Stromer, rund 67 000 waren Plug-in-Hybride, deren Batterie man an der Steckdose aufladen kann. Doch Stefan Bratzel, der Leiter des Forschungsinstituts CAM in Bergisch Gladbach, registriert weltweit eine starke Dynamik bei den alternativen Antrieben. In Deutschland gab es im ersten Quartal im Vergleich zum Vorjahr einen Zuwachs um 33 Prozent auf 23 000 Fahrzeuge. „Die Elektromobilität steht in den zentralen Automobilmärkten kurz vor dem Durchbruch“, urteilt der Wissenschaftler.

Die örtlichen Netze sind noch nicht für das gleichzeitige Laden vieler Autos ausgelegt

An einem Mangel an Strom wird dieser Hochlauf nicht scheitern, sagen die Energieversorger voraus, der vom nächsten Jahr an beginnen soll, wenn die deutschen Autobauer viele neue Modelle auf den Markt bringen wollen. „Die notwendigen Strommengen für den Hochlauf der Elektromobilität sind voraussichtlich kein Problem, genauso wenig wie die großen Stromautobahnen. Was man im Auge behalten muss, sind die örtlichen Stromnetze in jeder einzelnen Straße“, sagt Selma Lossau, die beim Netzbetreiber Netze BW, einer Tochter der Energie Baden-Württemberg (EnBW), für die Integration von E-Autos zuständig ist. Die örtlichen Netze, so Selma Lossau, seien für das Kochen, Bügeln oder auch mal eine private Sauna ausgelegt – aber nicht für das gleichzeitige Laden vieler Elektroautos. „Da muss jeder lokale Netzbetreiber sein Netz kennen und wo nötig in den kommenden Jahren ausbauen – kein Hexenwerk, aber man muss sich rechtzeitig auf den Weg machen“, sagt die promovierte Ingenieurin. Die EnBW will das Netz aufrüsten. Bis 2025 sollen dafür 500 Millionen Euro im Bereich der Mittel- und Niedrigspannung investiert werden.

Amadeus Regerbis, der bei der EnBW für den Ausbau der Ladeinfrastruktur für die Stromer zuständig ist, rechnet vor, dass bei einer Million Fahrzeugen nur ein Prozent mehr Strom in Deutschland benötigt würde. Allein vier Windparks der EnBW in der Nord- und Ostsee, so Regerbis, könnten bei einer Laufleistung von 10 000 Kilometern rein rechnerisch drei Millionen E-Golf für ein Jahr versorgen.

Die EnBW testet mit einem Pilotprojekt wie kritische Situationen vermieden werden können

Auch Niklaas Wrabletz vom Nürtinger Batteriespeicher-Spezialisten ADS-Tec rechnet vor, dass die Energie in der Gesamtbilanz auch für große Elektroflotten reichen würde. Der Stromüberschuss, der beispielsweise 2016 exportiert worden sei, hätte theoretisch für zehn Millionen E-Autos ausgereicht, sagt Wrabletz, der bei dem Mittelständler im technischen Vertrieb arbeitet.

Auch Wrabletz sieht die Herausforderungen für die Energieversorger nicht auf der Ebene der Höchstspannungsnetze, also der großen Stromautobahnen, sondern bei den lokalen Verteilnetzen: „Die Energieversorger können nicht abschätzen, was durch die E-Autos auf sie zukommt.“

Das Nürtinger Unternehmen, an dem Bosch beteiligt ist, hat zusammen mit dem Stuttgarter Forschungsinstitut ZSW eine Studie durchgeführt, die zum Ergebnis kam, dass schon eine vergleichsweise geringe Zahl von E-Autos, die gleichzeitig laden, das Stromnetz in einen kritischen Zustand bringen kann. Um vor unliebsamen Überraschungen geschützt zu sein, untersucht die EnBW-Tochter Netze BW in einem Pilotprojekt in Ostfildern-Ruit, wie es sich auf die Stromleitung in einer Straße auswirkt, wenn die etwa Hälfte der Hauseigentümer ein Elektroauto hat. Nach einer noch unveröffentlichten Umfrage des Karlsruher Fraunhofer-Instituts für System- und Innovationsforschung (ISI) ist das Eigenheim der beliebteste Ladeort: Rund 55 Prozent der befragten Besitzer von Elektroautos laden demnach zu Hause die Batterie auf, 26 Prozent am Arbeitsplatz.

In Mehrfamilienhäuser müssen alle Eigentümer die Installation von Ladegeräten billigen

BeimPilotprojekt „E-Mobility-Allee“ in Ruit wurden zehn von 22 Haushalten mit E-Autos ausgestattet. Zudem wurden in den Garagen oder an der Straße Ladegeräte, sogenannte Wallboxen, installiert. Hinzu kamen Steuergeräte, mit denen die Ladezeiten durch den Eingriff des Netzbetreibers gestaffelt werden konnten, damit abends nicht zu viele Autos gleichzeitig das Netz belasten. Denn bei zehn gleichzeitig ladenden E-Autos, so eine Erkenntnis, kommt das Stromkabel nah an seine Belastungsgrenze. Anfangs, so berichtet, die Projektleiterin, waren die Kunden skeptisch, dass das Laden aus der Ferne gesteuert werden sollte, um Belastungsspitzen zu vermeiden. „Doch mit der Zeit haben sie Vertrauen in das Lademanagement gefasst“, so die promovierte Ingenieurin.

Nach diesem ersten Experiment, das noch bis Oktober läuft, wagt sich der Energieversorger auf schwierigeres Terrain. Nun sind drei weitere Pilotprojekte geplant, unter anderem in einem Mehrfamilienhaus mit 80 Wohnungen, wo in der Tiefgarage 38 Stellplätze mit Wallboxen ausgestattet werden sollen.

„Das ist eine ganz andere Herausforderung“, sagt Lossau. Dabei geht es nicht nur um technische, sondern auch um rechtliche Fragen. Denn nach der bisherigen Gesetzeslage müssen sämtliche Eigentümer diesem Vorhaben zustimmen. Diese Hürde ist genommen. Aber: „Es war sehr schwer, die Einstimmigkeit zu bekommen“, sagt die Projektleiterin erleichtert.