Es gibt Streit, wie mit den Rückstellungen der Atomkonzerne in Zukunft umgegangen werden soll. Foto: dpa

2022 sollen in Deutschland die drei letzten Atomkraftwerke vom Netz gehen. Darunter ist auch Neckarwestheim II. Mit dem Ende des nuklearen Zeitalters stellen sich Fragen.Bei einer Anhörung im Bundestag mahnten Experten die Politik zur Eile. Die Rückstellungen zur Abwicklung der Atomkraftwerke in zweistelliger Milliardenhöhe seien gefährdet.

Wer zahlt das Abwracken der Meiler und die Entsorgung?
Es gilt das Verursacherprinzip. Die vier Stromriesen, die die Kraftwerke betrieben und damit zum Teil viel Geld verdient haben, müssen den Rückbau bezahlen. Und sie müssen für die Endlagerung des strahlenden Mülls aufkommen. Experten gehen davon aus, dass der Rückbau im Wesentlichen zwischen 2020 und 2045 stattfindet, ab 2050 soll es dann ein Endlager geben.
Wie teuer wird es?
Diese Schätzung traut sich kein Experte zu. Klar ist, dass die Konzerne Rückstellungen gebildet haben, wozu sie auch rechtlich verpflichtet sind. An Rückstellungen haben sich in den Portfolios der Konzerne derzeit etwa 36 Milliarden Euro angesammelt. So hatte der baden-württembergische Betreiber EnBW Ende 2013 etwa 7,6 Milliarden Euro als Rückstellung ausgewiesen.
Was hat es mit dem Begriff „Bad Bank für Atomkraftwerke“ auf sich?
Der Begriff im Zusammenhang mit Atomkraftwerken ist plakativ. Staatliche Bad Banks wurden von Regierungen in der Finanzkrise aufgemacht, um zu verhindern, dass Banken unter der Last ihrer toxischen, das heißt am Markt nicht verkäuflichen Wertpapiere, in die Knie gehen. Diese Papiere wurden an die Bad Bank übertragen, so dass die angeschlagene Bank, befreit von den bilanziellen Risiken, weitermachen konnte. Faktisch wurden so die Verluste der Banken aus schiefgegangenen Spekulationsgeschäften zulasten des Steuerzahlers sozialisiert. Die Opposition befürchtet, dass eine ähnliche Operation bevorsteht, durch die Betreiber von Atomkraftwerken sich nun ihrer rechtlichen Verantwortung, die finanziellen Folgen für das Abenteuer Atom zu tragen, entledigen wollen.
Woher kommt das Gerücht einer Bad Bank für Akw?
Vor etwa neun Monaten haben die Kraftwerksbetreiber das Thema selbst lanciert. RWE, Eon und EnBW ließen durchsickern, sie könnten sich eine Stiftung vorstellen, in welche die Atomrückstellungen übertragen werden. Im Gegenzug für die Milliarden solle sich der Bund bereiterklären, alle Risiken, die mit dem Ausstieg verbunden sind, zu schultern. Medien prägten für dieses Stiftungsmodell den Begriff Bad Bank für Atom. Die Regierung eiert in der Frage, ob sie tatsächlich bereits Verhandlungen in der Sache führt.
Warum dringt auch die Opposition auf eine Neuregelung?
Die Sache ist verzwickt: Die Energiewende, also das schnellere Abschalten der Atomkraftwerke und der Zubau von alternativen Kraftwerkskapazitäten, hat drastische Folgen für die Rückstellungen. Zum einen werden die Milliarden nun schneller benötigt, die Betreiber haben weniger Zeit, das nötige Geld für die Abwicklung auf die hohe Kante zu legen. Und: Die ehemaligen Stromriesen haben ein Problem mit ihrem Geschäftsmodell. Wenn die Wende zu Grünstrom gelingt, werden auch etliche Kohle- und Gaskraftwerke überflüssig. Ihr Kapital ist dann weniger wert. Stromriesen, die eben noch prächtig verdient haben, schreiben plötzlich rote Zahlen. Ihre schwierige wirtschaftliche Lage hat Folgen für die Rückstellungen: Sie sind weniger wert, weil etwa Kohlekraftwerke abgeschaltet werden und einkalkulierte Gewinne aus dem Verstromungsgeschäft so nicht mehr fließen werden. Außerdem: Die ehemaligen Stromriesen strukturieren sich um, spalten sich auf. Das Atomgeschäft etwa wird abgetrennt, ausgegliedert in eine andere Gesellschaft. Eon etwa beschreitet diesen Weg seit einigen Monaten. Der Energiewissenschaftler Wolfgang Irrek schätzt, dass diese Operation die Ausstattung der Rückstellungen mit Geldmitteln etwa halbieren wird. Der Grund: Die Rückbau- und Entsorgungslasten werden mit abgetrennt, die Vermögenswerte aber nur zum Teil. Vattenfall geht ähnliche Wege. Der schwedische Konzern sucht einen Käufer für die Braunkohlesparte in Deutschland. Wenn dieser Teil des Geschäftes unter den Hammer kommt, stehen den Atomrückstellungen immer weniger reale Unternehmenswerte entgegen. Bei EnBW sind bislang keine Pläne für eine Umstrukturierung des Konzerns bekannt. Aber auch für den Versorger im Südwesten gilt: Ist das Geschäftsmodell belastbar?
Was nun?
Experten sowie Grüne und Linke fordern, dass ein öffentlich-rechtlicher Fonds aufgelegt wird, in den die ehemaligen Betreiber der Atomkraftwerke ihre Milliarden einzahlen. Der Bund soll darüber wachen, dass das Geld ordentlich angelegt wird. Ganz wichtig ist der Opposition: Die ehemaligen Atomkonzerne und ihre Folgegesellschaften sollen dazu verpflichtet werden, Geld nachzuschießen, wenn sich herausstellt, dass die Atomabwicklung teurer wird. Zudem fordern sie, dass Deals zwischen der Politik und den Betreibern in dieser Sache ausgeschlossen sind. Hintergrund: Mehrere Betreiber klagen gegen den Atomausstieg. Ihre Forderungen sollen insgesamt bei etwa 15 Milliarden Euro liegen. Kalkül der Branche könnte sein: die milliardenschweren Klagen fallenzulassen, wenn der Staat sie im Gegenzug bei den Abwicklungskosten entlaste.
Was will die Koalition?
Sie hat sich noch nicht festgelegt. Es deutet sich aber an, dass die SPD in der Sache eher im Lager von Grünen und Linker ist. So hatte die SPD einen Experten für die gestrige Anhörung benannt, der ähnlich argumentiert wie die Kritiker. Die Union hatte dagegen Experten benannt, die die Lösung eines öffentlich-rechtlichen Fonds ablehnen. Sie argumentieren, dass so ein Fonds verfassungsrechtlich problematisch ist: Der Staat greife dabei nämlich massiv und zwangsweise auf privates Kapital zu. Da die Konzerne nicht mehr über die Mittel verfügten könnten, werde ihnen Geld für Investitionen entzogen. Alternativ empfehlen sie eine private Stiftung. Wie bei der RAG-Stiftung zur Beseitigung der Lasten des Steinkohlebergbaus könne ein Fonds gebildet werden, der von der Branche gebildet und verwaltet werde, um Lasten der Zukunft zu stemmen.