Sich zu ärgern ist völlig normal. Die Intensität eines Wutausbruchs lässt sich aber steuern. Wer es schafft, seine Emotionen zu kontrollieren, tut sich und seinem Umfeld etwas Gutes.

Stuttgart - Das lange geplante und intensiv vorbereitete Meeting ist geplatzt. Die Kundenbeschwerde hat viel zusätzlichen Aufwand gekostet. Und dann ist der Chef bei der Budgetplanung für das neue Projekt auch noch rüde über völlig berechtigte Einwände hinweggegangen. Es gibt Tage, da geht einfach alles schief. Dann rast plötzlich der Puls, der Kopf wird rot, man bekommt ein Hitzegefühl, und die Muskeln spannen sich an. Und dann muss der Ärger raus, oftmals in Form eines Wutanfalls: Mal äußert der sich in Form von lautem Gebrüll, mitunter werden sogar Gegenstände geworfen.

Schon die alten Griechen kannten den für seine Wutausbrüche berüchtigten Choleriker. In der Antike wurde dies auf einen Überschuss von Gallenflüssigkeit (griechisch: „cholé“) zurückgeführt. Aber mit einer Gallenoperation bekommt man Ärger bis heute nicht in den Griff. Denn er gehört zu jener guten Handvoll spontaner Grundemotionen, die alle Menschen in allen Kulturkreisen gemeinsam haben und die mit einer bestimmten unwillkürlichen Mimik und Gestik verbunden sind. Weitere Grundemotionen sind Freude, Angst, Trauer, Ekel und Scham.

Hohe soziale Kosten vermeiden

Grundsätzlich ist Ärger also etwas völlig Normales – man kann sich nicht nicht ärgern. Steuern lässt sich hingegen die Intensität oder Aggressivität des Ärgerausbruchs. Denn mit häufigen Wutausbrüchen macht man sich und seinem Umfeld das Leben schwer. „Von einem Ärgerproblem spricht man, wenn eine Person sehr häufig und intensiv Ärger erlebt und hohe soziale Kosten wie Probleme am Arbeitsplatz, Partnerschaftsprobleme und Probleme in Freundeskreis und Familie aufweist“, erklärt Georges Steffgen, Professor für Sozial- und Arbeitspsychologie an der Universität Luxemburg. Gemeinsam mit seinen Kollegen Claudia de Boer und Claus Vögele hat er jüngst das Buch „Mit Ärger konstruktiv umgehen“ veröffentlicht (Hogrefe-Verlag, 9,95 Euro), einen Ratgeber für Menschen mit Ärgerproblemen.

Die Reizschwelle für die Ärgerreaktion kann je nach biologischer Veranlagung, kultureller Prägung und individueller Erfahrung unterschiedlich hoch sein. „Eine entscheidende Rolle, ob Ärger bei jemandem ausgelöst wird, spielt die persönliche Bewertung der Situation“, erläutert Steffgen. Meist bestehe eine Diskrepanz zwischen persönlicher Erwartung und Zielerreichung: Der Bus wird in letzter Sekunde verpasst, der Urlaub muss kurzfristig abgesagt werden, oder man fühlt sich vom Verhalten einer anderen Person beeinträchtigt und provoziert – etwa weil der Fahrstil kritisiert wird oder man im Job plötzlich nur noch die langweiligen Routineaufgaben bekommt.

Die Negativspirale durchbrechen

Doch mit Ärger konstruktiv umzugehen lässt sich lernen: „Das Ärgerproblem kann nur durch den Betroffenen selbst abgebaut werden“, so Steffgen. Die Voraussetzung dafür: Man muss selbst erkennen, dass ein Problem besteht – und dieses Problem wirklich lösen wollen. Nur dann kann man es schaffen, durch gezielte Übungen und verschiedene therapeutische Ansätze wie etwa eine Verhaltenstherapie, emotionsfokussierte Therapien oder auch eine Familientherapie die Negativspirale zu durchbrechen. Auch regelmäßige Entspannungsübungen können dabei helfen, das emotionale Gleichgewicht wiederherzustellen. „Entspannung kann sowohl zur Prävention als auch zur Beruhigung während oder nach dem Ärgererlebnis eingesetzt werden“, erläutert Steffgen.

Mit Ärger konstruktiv umzugehen ist auch wichtig für die Gesundheit. Denn die innere Einstellung ist ein entscheidender Faktor dafür, ob jemand krank wird oder nicht. „Gefühle und Gedanken haben einen enormen Einfluss auf das eigene Wohlbefinden“, erklärt Professor Gerald Hüther, Neurobiologe und Vorstand der Akademie für Potentialentfaltung in Göttingen. Schon die kleinste seelische Störung könne den Körper aus der Balance bringen und das Risiko für Beschwerden verstärken. Aus diesem Grund würden manche Menschen nach einem Streit mit dem Partner oder Ärger im Job Durchfall oder Kopfschmerzen bekommen.

Höhere Anfälligkeit für Erkältungen

„Frauen und Männer, die beruflich unter Druck stehen, haben außerdem ein viel höheres Risiko, sich eine Erkältung zu holen, als andere, die keinen Stress haben“, so Hüther. Das belegen auch Studien der Psychoneuroimmunologie, die sich mit dem Zusammenwirken von Seele und Körperabwehr beschäftigt. So konnte etwa der amerikanische Psychologe Sheldon Cohen nachweisen, dass Menschen, die mehr Freunde und dafür weniger Stress haben, weniger anfällig für Erkältungen sind.

Ärger hat aber auch positive Seiten: Er aktiviert das vegetative Nervensystem und mobilisiert auf diese Weise Energie, etwa wenn man sich ungerecht behandelt fühlt und anderen Grenzen setzen möchte. Und Ärger kann in Bedrohungssituationen Angst, Schwäche oder einen möglichen Kontrollverlust überdecken und hat dadurch evolutionär gesehen eine Schutzfunktion. „Ärger erfüllt auch positive Funktionen, um wichtige Ziele zu erreichen“, betont Steffgen.

Wer es schafft, seine Emotionen zu kontrollieren und gewinnbringend für sich zu nutzen, hat es geschafft: Manchmal reicht es schon, sich dies zu verinnerlichen – und in dem Moment, wo man gerade wieder losbrüllen möchte, einfach mal innezuhalten und bis zehn zu zählen. Vielleicht ist die Wut dann schon wieder verraucht. Auch in ein Kissen zu boxen und seinem Ärger auf diese Weise Luft zu verschaffen kann helfen. Dann trifft die Aggression keinen Dritten – und richtet zumindest keinen Schaden an.

Tagebuch gegen Ärger im Job

Bei Ärger im Job sollten Berufstätige abends Tagebuch schreiben. Dazu rät die Psychologin Juliane Dreisbach aus Freudenberg im Siegerland. „Das hat eine entlastende Funktion.“ Ärger und Wut würden dann einen Platz bekommen, so die Expertin. Dadurch, dass sie frustrierende Erlebnisse zu Papier bringen, könnten die Betroffenen Dampf ablassen. Das Führen eines Tagebuchs helfe zudem bei der Selbstreflexion. So falle es leichter, den Tag Revue passieren zu lassen und zu erkennen, dass eigentlich gar nicht alles schlecht war. Oft bekommen Betroffene über die eigenen Notizen Klarheit darüber, was sie selbst für einen weniger frustrierenden Arbeitstag tun können – und was sie bei der Arbeit als Nächstes angehen wollen. Auf diese Weise wird der Ärger in positive Bahnen gelenkt.