Jesse Pinkman (Aaron Paul) hat die Verfolger auf den Fersen. Foto: Netflix/Ben Rothstein

Ein braver Bürger agiert als Verbrecher: Mit diesem Konzept wurde „Breaking Bad“ eine der meistgeliebten Serien überhaupt. Sechs Jahre nach deren Ende präsentiert Netflix den Film „El Camino“, der direkt an die letzte Folge anschließt.

Stuttgart - Kommt man aus dem Drogengeschäft je wieder heraus? Für Walter White, den braven Highschool-Lehrer, der sich in der zu Recht viel gepriesenen Serie „Breaking Bad“ zwischen 2008 und 2013 erst zum fleißigen Chrystal-Meth-Produzenten und dann zum skrupellosen Machtmenschen wandelte, war das keine relevante Frage. White (Bryan Cranston) begann seine kriminelle Karriere bereits als todkranker Mann, der seine Familie versorgt wissen wollte – und sei es mit sehr schmutzigem Geld.

Nacht ohne Morgen?

Den vom Ex-Lehrer in die Unterweltkämpfe hineingezogenen Ex-Schüler Jesse Pinkman (Aaron Paul) hingegen wurmte die Ausstiegsfrage permanent: Die Geld-auf-die-Schnelle-Tour war ein Spiel mit hohem Risiko, bei dem man erst das eigene Gewissen schlachten musste, um dann doch irgendwann von einem schnelleren oder fieseren Konkurrenten in der Wüste verscharrt zu werden.

Als die fünfte und letzte Staffel zu Ende ging, sprang Pinkman mit letzter Kraft dem Tod von der Schippe. Auch Menschen, die sonst wenig Sympathie für Verbrecher haben, wünschten ihm Glück. Und kaum ein Zuschauer war sicher, ob der Kerl da nicht in eine Nacht davonraste, der kein Morgen folgen würde. Genau da setzt nun sechs Jahre später der auf Netflix laufende Spielfilm „El Camino“ an, den der „Breaking Bad“-Erfinder Vince Gilligan geschrieben und inszeniert hat.

Konflikte und Konfrontationen

So nachvollziehbar vorab die Sorge war, dieses Projekt könne scheitern, die alte Magie sich nicht wieder einstellen: „El Camino“ ist so brillant und packend wie nur je eine Folge der Serie. Der Film schließt nicht nur inhaltlich direkt an die letzten Minuten des schon Erzählten an, sondern bringt die alte Wundermixtur aus menschlicher Tragik, schrägem Humor und terrorisierender Dauerbedrohung sofort wieder zur Wirkung.

Jesse Pinkman ist auf der Flucht, ohne Geld, mit einem Auto, das zur Fahndung ausgeschrieben ist, verfolgt von Polizei und Gangstern. Wie in „Breaking Bad“ kommt es zu einer Verkeilung in Konflikten und Konfrontationen nach der anderen – ganz so, als zwinge der Grundwiderspruch, der alles in Gang brachte (ein zivilisierter, kluger Mann baut sich zum brutalen Verbrecher um) jede Folgesituation dazu, auch nicht glatt zu laufen. Stets sind extreme Maßnahmen gefordert.

Ohne Geld und Papiere

Stellt sich die Frage: Versteht das auch jemand, der „Breaking Bad“ gar nicht gesehen hat? Darauf gibt es zwei Antworten. Die kürzere: Man schaut sich am besten vorher „Breaking Bad“ an, es gibt keinen Grund, es nicht zu tun. Wie „Sopranos“, „The Wire“ oder „Deadwood“ ist „Breaking Bad“ ein Musterbeispiel dessen, was man vor den beginnenden Masse-statt-Klasse-Kämpfen der Streamingdienste das neue Serienwunder nannte – also eine der großen Erzählungen der Moderne.

Die längere: Man kann „El Camino“ als Noir-Film sehen, als düsteres Stück über einen Mann, der hinter sich nur Verfolger und vor sich nur Hindernisse hat. Es ist klar, dass dieser Mann zu Geld, Papieren, einem Fahrzeug kommen und dabei stets unterhalb des Radars bleiben muss. Die Details nicht zu kennen, macht die Not Pinkmans universeller, seine Anstrengung fast mythologisch. Er ist der fliehende Gefangene, der nicht sicher sein kann, ob er sich nicht bloß ins Verlies nebenan durchgegraben hat, der Bedürftige, der dringend Hilfe braucht, aber niemandem trauen kann und jeden in Schach halten muss.

Dem Ende kann man nicht trauen

Es gibt vorab eine kurze Zusammenfassung der gesamten Serie. Aber vielleicht sollten jene, die ihre Reise ins „Breaking Bad“-Universum warum auch immer wirklich von hinten beginnen wollen, die lieber überspringen. Sie kann nicht zu allen, denen wir im Film begegnen, die verständliche Hintergrundgeschichte liefern, enthält umgekehrt aber unnötige Spoiler.

Aaron Paul hat für seine Leistung im Lauf der Serie drei Emmys bekommen, aber er steigert sein Energielevel hier eher noch. Der Chefkameramann Marshall Adams hat nur bei einer der alten „Breaking Bad“-Folgen mitgewirkt, dafür aber den großartigen Look der Spin-off-Serie „Better call Saul“ geprägt. Hier greift er die Atmosphäre der Hauptserie in einem brillanten Bild nach dem anderen auf, in schizophrenen Kompositionen. Innenräume kombinieren in einer Welt der Paranoia die Enge der Falle mit der Geborgenheit des Verstecks, Außenräume schließen das Versprechen des Verschwindenkönnens im nicht kontrollierten Raum mit der Drohung kurz, hier könne man ohne Schutz sang- und klanglos beseitigt werden. Dem Ende dieses Films kann man nicht trauen. Aber der Untertitel lautet ja auch vielversprechend „A Breaking Bad Movie“: Weitere könnten folgen.

Beim Streamingdienst Netflix abrufbar