Sie können ohne weitere Hilfe nicht mehr: Christel Seitz (li.), Rolf Stenker und Christine Diedtmann stellen den harten Kern der verbliebenen Ehrenamtlichen. Foto: Julia Bosch

Wer im Weltladen in Stuttgart-Degerloch fair gehandelten Kaffee, Schokolade oder Schmuck verkauft, bekommt dafür kein Geld. Der Laden wird ehrenamtlich betrieben – doch das Engagement lässt nach. Ende November soll der Laden schließen, falls sich nicht ganz schnell ehrenamtliche Mitstreiter finden.

Degerloch - Es ist ziemlich genau 13 Jahre her, da las Christine Diedtmann in der Zeitung, dass in Degerloch ein Weltladen eröffnen soll und Ehrenamtliche gesucht werden. Sie war damals gerade in Rente gegangen, wollte aber noch etwas Sinnvolles tun – und meldete sich. Bereits vom ersten Öffnungstag an stand sie in dem Laden an der Rubensstraße, beriet Kunden und verkaufte fair gehandelten Kaffee, Tee, Schokolade, Schmuck, Taschen, Schals, Kinderspielzeug und mehr.

Bis heute macht ihr die Arbeit Spaß – vor allem der Kontakt mit den Kunden und das Gefühl, etwas Gutes zu tun. Dass sie kein Geld für die Tätigkeit bekommt, ist für sie in Ordnung. Was für sie aber nicht in Ordnung ist: dass sie inzwischen so gut wie jeden Tag im Weltladen arbeitet. Es sind nämlich nur noch fünf Ehrenamtliche übrig geblieben, die sich die Dienste im Verkauf teilen. Und Christine Diedtmann ist am häufigsten da, teils fünf Tage die Woche. „Wenn wir nicht ganz bald Ehrenamtliche finden, die einige Ladendienste übernehmen, wird der Laden Ende November schließen“, sagt Diedtmann. Das haben die Mitglieder des Vereins Degerloch Fair beschlossen.

Gegengewicht zu Konzernen wie Nestlé

Weltläden sind keine Ketten und hängen nicht zusammen. Es gibt zwar einen Dachverband, doch letztlich wird jeder Laden selbst geführt. In Degerloch funktioniert der Laden als eine GmbH und wird von dem Verein Degerloch Fair als Gesellschafter angeführt. Christine Diedtmann hält das Ultimatum für die Schließung des Ladens für sinnvoll, hofft aber dennoch, dass es nicht dazu kommt. Sie schätzt das Prinzip der Weltläden: „Viele Kunden kaufen bewusst und aus Überzeugung hier ein, weil sie in den Ländern waren, aus denen unsere Ware kommt und sie Projekte vor Ort unterstützen wollen.“ In einigen Ländern seien kleine Basteleien, wie die Engel aus Afrika, die einzige Möglichkeit für Frauen, etwas zum Einkommen der Familie beizutragen und dadurch an Ansehen zu gewinnen. Außerdem werde durch die Projekte Schulunterricht ermöglicht sowie die Versorgung von Kindern mit Mahlzeiten in Schulen. Christel Seitz, eine andere Ehrenamtliche, ergänzt: „Die Waren aus Weltläden stellen auch ein Gegengewicht zu Großkonzernen wie Nestlé dar. Bei uns werden die Leute ordentlich entlohnt und Kleinbauern unterstützt.“

Degerloch war erster Fair-Trade-Bezirk

Eine Schließung des Weltladens wäre auch aus historischer Sicht bedauerlich, findet Diedtmann: „Degerloch war der erste Fair-Trade-Stadtbezirk in Stuttgart – und dazu haben auch Mitarbeiter des Weltladens und Mitglieder des Vereins Degerloch Fair ganz erheblich beigetragen. Nach Degerloch haben andere Bezirke nachgezogen. Und mittlerweile darf sich ganz Stuttgart Fair-Trade-Town nennen.“ Zwar gebe es inzwischen mehrere Läden in Degerloch, in denen es fair gehandelte Produkte gibt, aber dies seien alles Ketten, etwa Alnatura oder Naturgut.

Seit der Gründung 2006 ist das Engagement für den Laden kontinuierlich geschrumpft. Nicht etwa, weil bei den Mitarbeitern die Lust schwand, sondern aus persönlichen Gründen: Krankheit, Wegzug, fehlende Zeit. Und es kam niemand mehr nach. Gab es zu Anfangszeiten noch 20 Ehrenamtliche und standen immer zwei im Laden, sind es mittlerweile nur noch fünf – wobei der harte Kern nur aus drei Leuten besteht. Dass zwei Ehrenamtliche zeitgleich im Laden sind und Kunden beraten, ist schon lange vorbei. Als Christine Diedtmann kürzlich für drei Wochen im Urlaub war, schloss der Weltladen sogar kurzerhand montags. „Durch so etwas fällt natürlich auch Umsatz weg, was finanzielles Gift für uns ist“, sagt Rolf Stenker, ein weiterer Ehrenamtlicher.

Notfalls beginnt bald der Abverkauf

In ein paar Tagen müssten die Mitarbeiter eigentlich mit den Bestellungen für Weihnachten beginnen. Und auch ein paar andere Dinge fehlen. „Aber es macht keinen Sinn, jetzt Ware zu bestellen, wenn wir tatsächlich noch vor Jahresende schließen. Denn dann müssen wir bald mit dem Abverkauf beginnen“, sagt Christine Diedtmann. Noch haben sie aber die Hoffnung nicht aufgegeben, dass sie doch noch ein paar Menschen finden, die Lust auf die ehrenamtliche Tätigkeit haben. „Vor allem für jüngere Leute ist das fehlende Geld ein Hindernis. Aber es wäre trotzdem schön, wenn auch mal jemand Jüngeres kommt“, findet Rolf Stenker. In der Vergangenheit hätten beispielsweise hin und wieder Studenten ausgeholfen.

Besondere Anforderungen an die Freiwilligen gibt es nicht: „Man muss zuverlässig sein, nicht sofort in Hektik geraten, wenn mal drei Kunden zeitgleich im Laden sind, und bereit sein, zu lernen, wie eine Scannerkasse funktioniert“, sagt Diedtmann. Und es gibt zwar kein Geld, aber immerhin zwei kleine Zugaben für alle Ehrenamtlichen: Sie bekommen die Fahrtkosten erstattet und erhalten zehn Prozent Preisnachlass auf alle Produkte.