Johannes Mach und Eileen Lenk spezialisieren sich auf Partnerakrobatik. Foto: Gottfried Stoppel

An der Berufsfachschule des Circartive auf dem Rappenhof am Ortsrand von Gschwend lernen junge Leute aus aller Welt Jonglage, Balance und Akrobatik – aber auch Biologie und Anatomie.

Gschwend - Johannes Mach aus Aachen, 19 Jahre, wusste schon als Bub, was er später unbedingt machen will: beim Zirkus arbeiten. Eileen Lenk aus Ostfildern, 16 Jahre alt, hat als kleines Mädchen viel getanzt und Ballett geübt. Mit zwölf war sie erstmals auf dem Rappenhof. Damals besuchte sie auf dem Hof bei Gschwend ein Zirkus-Feriencamp und war hellauf begeistert. Bald stand auch für Eileen fest: Wenn sie alt genug ist, dann wird sie ganz bestimmt Zirkusartistin.

Ein kalter Herbsttag unter der Woche auf dem Rappenhof, 16 Uhr. Bald setzt die Dämmerung ein. Aus den fünf Wohnhäusern pilgern die Schüler der Berufsfachschule für Artisten in Richtung Trainingshalle. Wobei das Wort Training eigentlich tabu ist – auf dem Rappenhof legen die Lehrer und der Leiter und Gründer der Artistenschule des Circartive, Sven Alb, größten Wert darauf, dass hier nicht trainiert, sondern gelernt wird. Der Unterschied ist ihnen wichtig, denn andernfalls würde die Schule mit Internat nicht staatlich anerkannt.

Akrobatik ist Hochleistungssport

Johannes Mach, Eileen Lenk und die anderen knapp zwei Dutzend Schüler aller drei Ausbildungsjahre tragen Sportklamotten. In der nagelneuen Halle machen sie sich warm, dehnen sich, springen auf der Stelle. Die meisten der angehenden Zirkusartisten haben bereits einen langen Schultag hinter sich, denn sie besuchen zusätzlich eine allgemeinbildende Schule in Gschwend oder einer Nachbarstadt. Eileen zum Beispiel macht in zwei Jahren am Schenk-von-Limpurg-Gymnasium in Gaildorf Abitur. Johannes gehört mit seinen 19 Jahren zu den älteren Artistikschülern, er studiert nebenbei – meistens vormittags – Eventmanagement an einer Fernuni. Die beiden haben sich auf dem Rappenhof kennengelernt und spezialisieren sich auf das Fach Partnerakrobatik.

Nach dem Aufwärmen übt das Duo das Programm „Time of my Life“ – die Choreografie ist angelehnt an die legendäre Szene aus dem Film „Dirty Dancing“. Der Clou: Johannes und Eileen tauschen die Rollen. Nicht der Mann hebt die Frau, sondern die Frau den Mann. Nach der dreieinhalb Minuten langen Darbietung sind die beiden Schüler ganz schön außer Atem und ein bisschen verschwitzt. Akrobatik ist Hochleistungssport. Man müsse aber nicht unbedingt topfit sein, wenn die Schulzeit auf dem Rappenhof beginnt, sagt Johannes. Die Fitness komme mit der Zeit, mit dem vielen Training, Pardon: mit dem eifrigen Lernen.

Die Truppe ist bunt gemischt: Die Schüler kommen aus aller Welt. Zurzeit besuchen eine Schülerin aus Seattle und ein Schüler aus Nairobi die Artistenschule in der schwäbischen Provinz, die 2015 gegründet worden ist. In ganz Deutschland gibt es nur drei solche Schulen, zwei in der Weltstadt Berlin und eine in Gschwend.

1000 Euro Schulgeld im Monat

Laut der Auskunft des Schulleiters Alb – er ist Sozialpädagoge sowie Zirkus- und Theaterpädagoge – bekommt seine Schule bis dato keinerlei Zuschüsse. Man finanziere sich über das Schulgeld – 1000 Euro monatlich für den Unterricht, die Unterkunft und die Verpflegung – sowie mit Hilfe von Spenden. Auch die imposante, rund zwölf Meter hohe Halle sei zu einem großen Teil spendenfinanziert, erzählt Sven Alb. Diese Halle sei weit und breit einmalig, sagt er. „Es gibt europaweit vielleicht fünf vergleichbare Hallen“. Das besondere an dieser Konstruktion sei, dass „die Halle auch von oben bespielbar ist“. Über ein Treppenhaus gelangen die Schüler unter das Hallendach, wo sie über Metallstege in die Manege kommen und dann zum Beispiel am Seilen hängend ihre Kunststücke üben.

Während Alb seine Schützlinge aus luftiger Höhe beobachtet und sehr zufrieden lächelt, während Eileen und Johannes weiter an ihrem Programm feilen und während eine Schülergruppe ihre Ausdauer trainiert, sitzen ein paar andere Schüler mit ihrem Lehrer Tobias Baesch auf einer Matte, sie haben Biologie- und Anatomieunterricht. Alb spricht von einer „ganz grundlegenden Ausbildung“. Was an dieser speziellen Schule gelernt werde, sei schlicht ein Handwerk, „wie zum Beispiel Gas- und Wasserinstallateur“.

Eileen spricht von „purer Magie“

Die Tage der Schüler – manche sind erst 14 Jahre alt – sind lang. Der Unterricht endet meist gegen 20 Uhr. Eileen sagt, sie müsse am nächsten Morgen wieder ganz früh raus aus dem Bett. Doch alle die Anstrengungen sind bei den Auftritten, die die Schüler immer wieder absolvieren, wie weggewischt. Eileen spricht von „purer Magie“, wenn sie beschreiben soll, wie sich das anfühlt, „wie fliegen“, sagt sie. Es sei faszinierend, „was man mit dem Körper alles machen kann“.

Sven Alb sagt, den Schülern stünde nach dem Abschluss die Welt offen. Zirkusartisten seien weltweit gefragt, beim Fernsehen und beim Film, für Galas, für große Firmenfeiern und auch als Zirkuslehrer. Der Schulleiter ist überzeugt davon, dass kreative Köpfe auch in ganz anderen Berufen unterkommen, Querdenker, die innovative Ideen haben, seien begehrt. Er kenne einen Artisten, der nach der Ausbildung studiert hat und heute ein guter Chirurg sei.

Eileen und Johannes wollen nach dem Schulabschluss auf jeden Fall zunächst auf die Bühne. Eileen sagt, sie könnte sich aber auch vorstellen, eines Tages Medizin zu studieren. Und Johannes hat nach seinem Eventmanagement-Studium sicherlich eine ganze Reihe von Optionen.

Weitere Informationen im Internet unter circartiveschool.de