Der Fleischermeister und Firmenchef Jochen Ehni beschäftigt in der Filiale in Waldenbuch seine Nichte Annika Bächtle. Foto: Caroline Holowiecki

Jochen Ehni betreibt eine Metzgerei in Waldenbuch, und er schlachtet noch selbst. Damit ist er ein Exot im Großraum Stuttgart. Seit den Tönnies-Enthüllungen muss er noch mehr Fragen beantworten.

Waldenbuch - Tönnies hat sich zum neuen Pfui-Wort entwickelt. Seitdem sich im nordrhein-westfälischen Mega-Schlachtbetrieb Hunderte mit Corona infizierten haben, ist die Öffentlichkeit auf die Zustände im Fleischwerk aufmerksam geworden. Die Massenabfertigung von Zigtausenden Tieren und schlechte Arbeitsbedingungen haben viele abgeschreckt. „Das Informationsbedürfnis ist unwahrscheinlich“, sagt Joachim Lederer, der Landesinnungsmeister für das Fleischerhandwerk. Es müsse seither viele Fragen beantworten. Woher kommt das Fleisch in der Theke, wie wurde das Tier gehalten? Erst heute wieder sei eine Kundin dagewesen und habe betont: „Ich will kein Tönnies-Fleisch.“

Jochen Ehni bringen solche Enthüllungen Kundschaft. Der Fleischermeister stammt aus einer traditionsreichen Metzgerfamilie, betreibt in Waldenbuch eine seiner drei Filialen. Und er schlachtet am Hauptsitz in Lenningen noch selbst. Damit ist er im Großraum Stuttgart ein Exot. „Wir haben von jedem Skandal profitiert“, sagt er, ob BSE oder Gammelfleisch. Jochen Ehnis Beobachtung: In unsicheren Zeiten beriefen sich die Menschen auf Regionalität und suchten Glaubwürdigkeit. Seine Nichte Annika Bächtle (24) arbeitet in der Waldenbucher Filiale. Sie bestätigt: Gerade zur Tönnies-Hochzeit hatten Kunden viele Fragen. Schon jetzt nehme das wieder ab. „Man merkt ganz arg, wie medienpräsent ein Thema ist“, sagt sie. Joachim Lederer kennt solche Effekte schon. „Nach acht Wochen bricht es ab, nach einem Vierteljahr ist das Thema vergessen.“ Mit Corona ist es anders, sagen beide. Nachhaltiger.

Ehni über Dosenwurst: Das schmecke wie früher und wecke Vertrauen

Seit dem Ausbruch der Pandemie verkauft Jochen Ehni nach eigenen Angaben 20 Prozent mehr. Die 400-Gramm-Dose Leberwurst ist für ihn ein Beispiel. Eigentlich habe er die aus dem Sortiment nehmen wollen, seit Corona aber erlebe die extra große Wurstdose eine Renaissance. Was dem einen sein Klopapier, ist dem anderen die Dosenwurst? Der Firmenchef hat eine andere Interpretation. Er glaubt, dass viele Kunden sich durch das Produkte an die gute alte Zeit erinnert fühlten. Das schmecke wie früher und wecke Vertrauen. Auch Joachim Lederer spricht von einem veränderten Konsumverhalten. „Die Leute sind sensibler und kaufen bewusster ein.“ Kleine Metzger gingen als Sieger aus der Krise hervor.

Covid-19 hat offenbar verstärkt, was ohnehin im Trend liegt. Laut dem jährlichen Ernährungsreport des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft nimmt der Fleischkonsum leicht ab. Nur noch 26 Prozent der rund 1000 Befragten des Ernährungsreports essen täglich Fleisch und Wurst, Im Jahr 2015 waren es noch 34 Prozent gewesen. Wer doch zum Schnitzel greift, macht dies oft bewusster. Laut der neuesten Erhebung ist für 83 Prozent die Regionalität kaufentscheidend. Auch das Wohl von Mensch und Tier steht hoch im Kurs. Für 84 Prozent sind Informationen zu den Haltungsbedingungen von Tieren von zentraler Bedeutung, ebenso zu fairen Produktionsbedingungen (83 Prozent).

Der Metzger schlachtet noch selbst

Woher die 25-Mitarbeiter-Firma Ehni Rinder, Schweine und Schafe bezieht, kann man online nachlesen. Demnach leben die Tiere bis zu ihrem Tod in Ställen und auf Weiden im Radius von etwa 25 Kilometern. Ehni spricht von zwölf bis 14 Schweinen und ein bis zwei Rindern, die pro Woche in seinem Schlachthaus durch seine Hand ihr Leben lassen. Die Zahl habe sich seit Corona leicht erhöht, Massenproduktion lehnt er indes ab. Er spricht von Ethik. Bei vielen Kunden trifft das den Nerv. Nach Waldenbuch zieht es auch Stuttgarter, Böblinger und Tübinger. Montags wird bei Ehni geschlachtet, die Woche über produziert. Der Chef zeigt auf die Saitenwürstle und die Roten. Die habe er heute Vormittag gemacht. 90 Prozent der Waren in der Theke produziere er selbst. Nur einige Spezialitäten kaufe er zu. Und Geflügel. Jochen Ehni verzieht das Gesicht. Puten- und Hähnchenfleisch beziehe er mangels Alternativen über die Genossenschaft. „Das ist eher Industrieware, aber das sage ich den Kunden auch.“