Das ehemalige Behr-Gelände an der Siemensstraße in Stuttgart-Feuerbach. Foto: Leif Piechowski

Bürgermeister Hahn sagt: Auf ehemaligem Behr-Gelände wären gute Rettungswege nötig . Die Fraktionen sorgen sich dagegen um Flächen für Gewerbe.

Stuttgart - Die Industrie ist auf dem Rückzug, sogenannte Kreative erobern ehemalige Gewerbeflächen. So verhält es sich jetzt auch im früheren Werk 8 der Firma Behr in Feuerbach. Die Investoren Halil Aydin und Halil Selvi, bekannt durch eine Großbäckerei, haben das Gelände des Automobilzulieferers an der Siemensstraße übernommen. Sie lassen zurzeit die Umwandlung in ein Künstlerdorf ins Werk setzen. Diese Idee habe Charme, hieß es am Dienstag im Rathaus, wo im Technikausschuss darüber diskutiert wurde. Ob die Stadt mitspielt, entscheidet sich aber nicht vor dem Jahresende.

Eine Agentur mit rund 50 Mitarbeitern ist bereits eingezogen. Immer mehr Mieter kommen hinzu. Im Endausbau sind vorgesehen: eine Großbäckerei, ein Café mit 272 Sitzplätzen, eine Kreativwerkstatt des Behindertenzentrums, Ateliers für Malerei, Grafikdesign und Möbeldesign, Ton- und Fotostudios, eine Textschmiede, Räume für Produktpräsentationen, eine Kleinkunstbühne und ein sogenannter Kreativsaal mit fast 2000 Quadratmeter Fläche.

Das Problem: Mehr als die Hälfte des Konzepts, schätzt Baubürgermeister Matthias Hahn (SPD), ist von einem neuen Bebauungsplan abhängig, speziell die kulturelle Nutzung. Es handle sich aber um ein „hoch reizvolles Konzept“, zumal die bunte Kreativwirtschaft zurzeit sehr im Trend liege.

Baubürgermeister Hahn: „Die Lage beim Brandschutz ist prekär“

Die Verwaltung ist trotzdem hin- und hergerissen. Im alten Industriegebiet von Feuerbach regt sich überall Interesse an Nutzungen, die nicht ganz ins alte Raster passen. Die Verwaltung will die Kreativwirtschaft zwar fördern, aber auch künftige Chancen auf dem Industriesektor nicht verspielen. Vor vier Jahren hätten nicht mal die Porsche-Chefs geahnt, dass die Produktion des Unternehmens in Zuffenhausen verdoppelt werden könnte, sagte Hahn. Weil man Gelände in Reserve hatte, könne nun ein neues Motorenwerk entstehen. Die Lehre daraus sei: „Man weiß nicht, was kommt. Man muss auch mal warten können.“ Deshalb schlägt die Verwaltung vor, dass das Behr-Gelände Industriegebiet bleiben soll, dass die kulturelle Nutzung aber als Ausnahme zugelassen wird – wenn die Stadträte das wollen. Das Künstlerdorf könnte man damit zwar nicht wieder aktiv abräumen, gab Hahn zu. Aber es wäre ein Signal für das übrige Industriegebiet. Und wenn sich mal eine Brache entwickeln sollte, müsste für eine industrielle Nutzung nicht erst wieder ein entsprechender Bebauungsplan aufgestellt werden.

Bei aller Sympathie für das Projekt warnte Hahn die Investoren aber auch vor Umbauten auf dem Behr-Gelände, ehe die Sache besiegelt ist: „Die Lage beim Brandschutz ist prekär.“ Die Hallen, in denen bisher maximal 200 Menschen gearbeitet hätten, seien vergleichsweise einfach gebaut. Die Dächer mit Stahlträgern würden einem Brand wahrscheinlich nicht lange standhalten. Hahn: „Nach 15 Minuten würde die Feuerwehr da nicht mehr reingehen.“ Der große Kreativsaal ist aber für bis zu 950 Besucher vorgesehen. Auf Stehplätzen könnten vielleicht auch doppelt so viele Menschen einen Platz finden, vermutet man. „Wir brauchen sicherlich gute Rettungswege“, sagte Hahn.

Die Fraktionen wollen über all das noch nachdenken. Erste Pflöcke rammten sie aber ein. Die Grünen zeigten sich aufgeschlossen. Die CDU will keine kulturelle Nutzung gestatten, sondern weiter auf Industrie setzen. Handwerksbetriebe oder ein Logistikzentrum könne man sich hier ebenfalls vorstellen. Man dürfe die Kreativwirtschaft nicht überschätzen. Die SPD will nicht mehr zusehen, wie nach dem Zufallsprinzip „irgendwo irgendetwas“ zugelassen wird. Es sei höchste Zeit, die Gewerbestruktur in Stuttgart mit einem Entwicklungskonzept zu lenken. Die FDP hat auch Probleme damit, dass ein Industriestandort verwässert wird. Die Freien Wähler würden das Künstlerdorf zulassen, verlangen aber als Ersatz eine neue Gewerbefläche. Die Fraktion SÖS/Linke ist angetan und verspricht sich vom Künstlerdorf eine Aufwertung der Umgebung.