„Wir sind nicht in den 60ern.“ Noch-OB Fritz Kuhn hält die Vokabel der Sittlichkeit für antiquiert. Im Landesgaststättengesetz steht sie trotzdem. Foto: Lichtgut/Achim Zweygarth

Das Schwulenlokal Eagle kann seinen Betrieb wohl nicht fortsetzen – unter anderem wegen „Verstößen gegen die Sittlichkeit“, wie die Verwaltung schreibt. OB Fritz Kuhn entschuldigt sich dafür. Ob das dem Eagle selbst etwas bringt, bleibt anzuzweifeln.

Stuttgart - Auch wenn Fritz Kuhn bekannt gegeben hat, im November 2020 nicht erneut als Stuttgarter OB zu kandidieren, hält er sich nicht aus den Diskussionen in der Stadt raus. Im Gegenteil: Noch am selben Tag der Verzichtsverkündung stellte sich der 65-Jährige schützend vor das Schwulenlokal Eagle an der Mozartstraße, das seinen gewohnten Betrieb nicht länger fortsetzen kann. Unter anderem, weil die Verwaltung in dem Darkroom dort eine Gefährdung der Sittlichkeit sieht und dem neuen Pächter die Konzession verweigerte. „Sittlichkeit ist kein Maßstab, der hier anzuwenden ist, wir sind nicht in den 60ern“, sagte Kuhn. Sollte die Formulierung jemanden verletzt haben, „möchte ich mich in aller Form entschuldigen.“

Sittlichkeit – dass dieses Wort in Zusammenhang mit gleichgeschlechtlichen sexuellen Handlungen nicht zu einer Stadt passt, die sich weltoffen geriert, sieht man auch in der Verwaltungsspitze so. „So ein Vorfall wirkt nach außen hin schlimmer als zehn Jahre Feinstaub“, heißt es aus dem Rathaus. Stuttgart, die Schwulenhasserstadt. In der homosexuellen Community, das zeigen Kommentarspalten in sozialen Netzwerken, hat sich die Verwaltung mit der Begründung loser Sitten keine Freunde gemacht. „Ein Schlag gegen die Stuttgarter Schwulenszene“, steht dort etwa.

Passus aus dem Landesgaststättengesetz zitiert

Aber was ist Sittlichkeit eigentlich, also im verwaltungsrechtlichen Sinne? In einer Pressemitteilung vom Dienstag begründet die Verwaltung ihr Vorgehen und vielleicht unglückliche Formulierungen so: Bei „Gefahren für die Sittlichkeit“ handle es sich um einen rechtlichen Passus aus dem Landesgaststättengesetz, den die Behörde in ihrer Begründung zitiere.

Weiter habe die Gaststättenbehörde nur die rechtlichen Rahmenbedingungen ausgelegt. Dabei seien die bisherige Genehmigung, das Gaststättengesetz, die Vergnügungsstättensatzung und der geltende Bebauungsplan in den Blick genommen worden. Dabei habe die Verwaltung laut dem Schreiben an den neuen Betreiber festgestellt: Eine Szenegastronomie, deren Betriebskonzept schwerpunktmäßig zur Anbahnung von sexuellen Handlungen ausgelegt sei, unterscheide sich stark vom Betrieb eines Billardcenters – und als solches ist das Eagle konzessioniert.

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Dabei ist der Darkroom auch nur ein Punkt, den die Verwaltung im Eagle zu beanstanden hatte. Auch Musik, Nacktheit, Besucheraufkommen und die langen Betriebszeiten führt die Verwaltung als Punkte auf, die dem Betrieb einer Billard-Bar nicht entsprächen. Entsprechende Auflagen wollte der neue Pächter nicht erfüllen, nachdem sich der alte nach 30 Jahren zurückgezogen hatte. Ein Kenner der Fetischszene, der anonym bleiben möchte, sagt: Im Eagle sei das mit den Auflagen nie so genau genommen worden.

Das könnte durch die neuerliche Prüfung zu dem Ergebnis geführt haben, dass es so an der Mozartstraße nicht weitergehen kann. Dennoch will die Stadtverwaltung mit den Betreibern der Gaststätte erneut die Rechtslage erörtern. Bereits in den kommenden Tagen wolle sie mit ihnen zusammenkommen.

Suche nach einem Schlupfloch

Darüber hinaus hofft ein breiter Unterstützerkreis des Eagle weiterhin, dass es irgendwo vielleicht doch noch ein Schlupfloch gibt. Die Linken-Stadträtin Laura Halding-Hoppenheit, die selbst in Stuttgart mehrere Schwulenlokale – wenn auch ohne Darkroom – betreibt, hält die abgedunkelten Räume für wichtig: „Sie ermöglicht die wichtige Körperlichkeit an einem geschützten Ort.“ Eine Online-Petition für den Fortbestand des Eagle ist auf dem Weg und findet viele Unterstützer. Und auch Fritz Kuhn selbst bekräftigte, dass er auf die Verwaltung weiter einwirken werde, ob es nicht doch Möglichkeiten gibt, den Betrieb im Eagle fortzusetzen.

Ob das möglich sein wird oder nicht: Fest steht, dass das Eagle mehr als ein Sextreff war. So diente es dem Lederclub Stuttgart als Stammlokal und unterstützte stets die Präventionsarbeit der AIDS-Hilfe Stuttgart, außerdem arbeitete das Lokal im Arbeitskreis Homosexuelle und Polizei mit. Dinge, die wahrscheinlich die wenigsten Billardcafés tun. Egal, wie sittlich es dort zugeht.