Schwer bewaffnete und vermummte Polizeibeamte bewachen während einer Pressekonferenz im bayerischen Landeskriminalamt etwa 640 Kilo Kokain, Waffen, Bargeld und Bananen aowie Bananenkisten Foto: dpa

Der klassische Dealer am Bahnhof hat ausgedient, sagt ein EU-Bericht. Wer Drogen kaufen, ordert sie heutzutage im Darknet. Es gibt sogar Bewertungssysteme.

Brüssel - Beim Handel mit Kokain hat sich EU-weit ein Online-Markt etabliert. Die verbotene Droge wird von Dealern über legale Messenger-Dienste angeboten, die Verkäufe werden dann meist durch verschlüsselte App-Dienste oder im anonymisierten Darknet perfekt gemacht. Zu dieser Erkenntnis kommt das Europäische Monitoring-Zentrum für Drogen und Drogensucht (EMCDDA) in seiner gerade veröffentlichten Studie zu neuen Trends auf dem europäischen Kokain-Markt.

Im Darknet, einem absichtlich verborgenen Teil des Internets, der von den normalen Browsern nicht angesteuert werden kann, gibt es demnach Marktplattformen, über die Kokain umgeschlagen wird. 2017 wurde etwa der Marktplatz AlphaBay von den Behörden geschlossen, über den im großen Stil Kokain verkauft wurde. Zwischen 2015 und 2017 wurde allein in Deutschland über diesen Marktplatz Kokain im Wert von 1,55 Millionen Euro verkauft. Im Vereinigten Königreich betrug der Umsatz 5,8 Millionen Euro und in den Niederlanden 2,65 Millionen Euro.

Offensichtlich kaufen nicht Zwischenhändler, sondern Endverbraucher auf diese Weise im Netz ein. „Verkäufer im Darknet erfüllen die Rolle als lokaler Retailhändler“, heißt es in dem Report. Zwischen 2015 und bis zur Schließung 2017 wurden rund 71 000 Kokain-Transaktionen über AlphaBay registriert.

Es gibt Bewertungssysteme für die Qualität der Droge bei bestimmten Händlern

Die Preise pro Gramm variieren beträchtlich zwischen den Mitgliedstaaten: von 72 Euro in Schweden, 85 Euro in Italien und 145 Euro in Finnland. Die Preise seien damit etwas höher als im Straßenverkauf. Offenbar sei der Kunde bereit, etwas mehr zu zahlen, wenn die Gefahr, erwischt zu werden, geringer sei. Zudem gebe es Bewertungssysteme für die Qualität der Droge bei bestimmten Händlern, so dass die Kunden sicher sein können, reineres Kokain zu bekommen als bei Zufallskäufen auf der Straße.

Es gibt weitere innovative Verkaufsmethoden auf dem Kokain-Schwarzmarkt. So gibt es Hinweise auf Callcenter, die sich darauf spezialisiert haben, per Kurier Kokain in einigen Gegenden in Belgien zu verteilen. Die Callcenter selbst sind nicht in Belgien ansässig, sondern auf dem westlichen Balkan und in Spanien. Belgische Kunden bestellen dabei über eine zentrale Telefonnummer.

Danach stellen Kuriere, die sich in Belgien aufhalten, die Ware in kurzer Zeit an die gewünschte Adresse zu. Den belgischen Behörden fällt es sehr schwer, die Kuriere zu stellen, da vom Ausland nach Belgien immer wieder eine Vielzahl von Kurieren für kurze Abschnitte kommt und dann aber wieder umgehend in ihre Heimat zurückkehrt, zum Beispiel nach Albanien. Die Kuriere verteilen dabei im Schnitt etwa ein Kilo Kokain pro Woche. Aus dem Großraum Paris werden ähnliche Zustellservices berichtet.

Die Kommunikation zwischen Verkäufern, Kurieren und Kunden läuft über WhatsApp

Die Kommunikation zwischen Verkäufern, Kurieren und Kunden läuft häufig über teilprivate verschlüsselte Apps wie etwa WhatsApp und Telegram ab. Dies macht es für die Behörden sehr schwer, die Vorgänge zu überwachen. Auf öffentlichen sozialen Medien-Kanälen wie Instagram, Twitter und Facebook werden einem breiteren Publikum zeitlich begrenzt verfügbare Angebote angezeigt.

Dabei werden leicht verständliche Emoijs wie etwa eine Schnellflocke oder Synonyme wie „Schnee“ benutzt. Laut Forschern seien sowohl Plattformen der Sozialen Medien als auch die halb-privat verschlüsselten Apps europaweit üblich, für den Zwischenhandel wie auch den Absatz an den Endverbraucher. Berichte weisen auf den Einsatz in Deutschland, Großbritannien, Dänemark, Finnland, Italien, Norwegen, Spanien und Schweden hin.

Neue Banden mischen im europäischen Drogengeschäft mit

Die neuen Vertriebsstrukturen werden zudem auch als Hinweis gewertet für eine Professionalisierung und zusehends bandenmäßige Strukturen bei den Hintermännern. Neben der italienischen Mafia, Ndrangheta und Camorra, mischen neue Banden aus Großbritannien, Niederlanden, Irland und Spanien im Kokain-Handel in Europa mit. Die Ebene der Zwischenhändler spiele inzwischen eine geringere Rolle.

Mit der enormen Ausweitung der Anbaugebiete von 2013 bis 2016 um allein 68 Prozent in Kolumbien, aber auch in Bolivien und Peru stehe derzeit so viel Kokain zur Verfügung wie lange nicht mehr. Dies spiegelt sich in den drastisch gestiegenen Mengen beschlagnahmten Kokains wider: In Belgien wurden etwa 2016 15,6 Tonnen Kokain sichergestellt. Allein im Hafen von Antwerpen lag dieser Wert 2017 bereits bei 41 Tonnen. Außerdem wurden 2017 in Lateinamerika 45 Tonnen abgefangen, die ebenfalls für Antwerpen bestimmt waren. Am Pariser Flughafen Orly ist die Zahl der Kokain-Kuriere, die erwischt wurden, von 144 in 2016 auf 254 in 2017 gestiegen.

Schätzungen gehen aber davon aus, dass am gleichen Flughafen pro Jahr 3500 bis 4000 Kuriere unentdeckt bleiben. Zunehmend organisierten die Banden selbst den Transport der Droge von Lateinamerika nach Europa. Dabei operierten sie auffällig von den französischen Überseegebieten wie Guyana, aber auch von Surinam und den Antillen. Sie nutzen dabei aus, dass die Überseegebiete Teil des EU-Binnenmarktes sind.