Christian Lindner geht mit der Politik der Bundesregierung hart ins Gericht. Foto: dpa

Für FDP-Chef Lindner ist klar: seine Partei will die „falsche Politik“ der Regierung nicht länger von den Zuschauerrängen aus verfolgen. Deshalb nehmen die Liberalen in Stuttgart Kurs auf den Bundestag.

Stuttgart - Man merkt Christian Lindner die Anspannung an. „Bereit für 2017“ steht hinter ihm in der Blau-Gelb-Magenta-Farbgebung der Partei, die seit zwei Jahren den Neuanfang koloriert. Er zupft die Hose glatt, als er in den blauen Kreis tritt, den die Regie für die Redner im Stuttgarter Staatstheater als kameratauglichen Aktionsraum vorsieht. Einmal greift er sogar nach einem Stichwortzettel, was dieser passionierte Freiredner sonst nie nötig hat. Aber es geht ja auch um viel heute.

Politik in Zeiten des Terrors

Er will in Zeiten des Terrors und der Verunsicherung erklären, warum ausgerechnet die Partei der Freiheit und Bürgerrechte Garant der Sicherheit ist. Er will zeigen, dass eine vernachlässigte Mitte in Deutschland mit seiner erneuerten FDP ein Angebot offeriert bekommt, dass sie eigentlich nicht ablehnen kann. Er will die grassierende Zukunftsangst mit rationalem Optimismus kontern. Was er aber vor allem will: im Herbst mit der FDP zurück in den Bundestag in Berlin.

Hart geht Lindner mit der Politik der Union und Kanzlerin Angela Merkel ins Gericht. Sein Hauptvorwurf: Regelbruch und Kapitulation auf der einen Seite, bürokratische Gängelung und Ordnungswut auf der anderen. Die Mitte der Gesellschaft erlebe einen Staat, der sich nur noch um die Ränder, um Flüchtlinge und Superreiche kümmere. Zwischen diesen Extremen lebten aber Millionen Menschen, die sich fragten, was eigentlich für sie getan werde. „Wehe, du gibst deine Steuererklärung zu spät ab. Wehe, deine Parkuhr ist abgelaufen. Wehe du baust auf Sylt eine Sandburg“, zählt er Fälle auf, in denen er das Gemeinwesen für überreglementiert hält, weil in diesen Momenten sofort ein Ordnungshüter auf den Plan trete.

Lindner fordert neue Prioritäten

Aber wenn ein Islamist wie der Attentäter Anis Amri mit 14 falschen Identitäten durch Deutschland fahre, ausreisepflichtig, im Visier der Sicherheitsbehörden, die gewusst hätten, dass er sich Kriegswaffen beschaffen wollte und ein Attentat angekündigt habe, dann sei die Antwort der Regierung: „Da kann man nichts machen, kein Anfangsverdacht.“

Da stimmten, so Lindner, die Prioritäten nicht mehr. Wer bei dieser Deliktvielfalt „keinen Anfangsverdacht erkennt, gegen den besteht selbst ein Anfangsverdacht“, so Lindner: dem der „Strafvereitelung im Amt“. Weshalb er auch kaum fassen könne, dass die Opposition im Bundestag nicht viel energischer auf einen Untersuchungsausschuss dringe.

Herkunft dürfe kein Bonus sein

„Wir haben Gesetze, wir haben Regeln, wir haben ein Recht“. Herkunft dürfe „kein Malus, aber eben auch kein Bonus sein: Das Recht muss für alle gleich sein.“ Auf der anderen Seite halte er den Appell der Bundeskanzlerin, jetzt erst recht unter dem Weihnachtsbaum christliche Weihnachtslieder zu singen, für „den Gipfel der politischen Hilflosigkeit“. Religion werde auf einmal wieder zur „politischen Kategorie“ und das sei „doch auch das, was die Islamisten wollten“, sagte Linder und hielt dem entgegen: „Unsere Verfassung ist nicht getauft.“ Jeder solle glauben, was er wolle, solange er sich an die Regeln halte. Man brauche auch nicht immer neue Sicherheitsgesetze und Überwachungsmethoden, sondern vor allem mehr Polizisten, die in der Lage sind, endlich die bestehenden Gesetze durchzusetzen, statt vor den Herausforderungen aus Personalmangel kapitulieren zu müssen. Lindner versucht erkennbar, Lehren aus der Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten zu ziehen. Auch in Deutschland frage sich die vernachlässigte Mitte: „Wo bleibe eigentlich ich mit meinen Sorgen?“ Diese Menschen beschäftigten sich mit Unterrichtsausfall, kaputten Schulklos, Stau, der Altersvorsorge und Einbrüchen in der Nachbarschaft. Im Fernsehen würden sie dann erleben, wie die Regierung über eine Pkw-Maut streite, die mehr Kosten als Einnahmen provoziere. Das werfe laut Lindner die berechtigte Frage auf: „Was hat das mit meinem Leben zu tun, wenn Politik nur gemacht wird zur Gesichtswahrung einer bayerischen Regionalpartei.“ Der Rest der Rede ist liberales Standardrepertoire: Stärkung von Bildung, Infrastruktur, ja, auch Steuersenkungen. Am Ende richtet Lindner einen Appell an die Wähler, die 2013 die FDP in die Wüste schickten: „Wenn die Welt verrückt ist, könnt ihr ja wieder mal was Vernünftiges wählen.“ Im Herbst zeigt sich, ob sie bereit sind, seiner Bitte zu folgen. Dann wird, so jedenfalls sieht es Lindner, über das Schicksal der FDP entschieden.