Ein junger Gewalttäter ist mit einem blauen Auge davongekommen. Foto: dpa

Ein 20-jähriger Mann, der den kleinen Sohn seiner Lebensgefährtin geschlagen hat, ist vor Gericht mit einer Bewährungsstrafe davongekommen. Die ganze Familie hat die Aussage verweigert – selbst die Mutter des Opfers.

Stuttgart - Die 2. Jugendstrafkammer hat in einem außergewöhnlichen Fall einen jungen Mann wegen vorsätzlicher Körperverletzung an einem dreijährigen Kind zu einem Jahr Jugendstrafe auf Bewährung verurteilt. Vom Vorwurf des versuchten Totschlags am Vater und am Bruder seiner Lebenspartnerin sprach ihn das Gericht frei.

Ein Prozess um Gewalt ohne aussagefähige Opfer – damit hatte es die 2. Strafkammer zu tun. Dem Angeklagten, einem heute 20-jährigen Mann aus Böblingen, der die meiste Zeit seiner Kindheit und Jugend in Heimen und bei Pflegefamilien zugebracht hat, wurde vorgeworfen, er habe den dreijährigen Sohn seiner damaligen Freundin misshandelt.

Die 22-jährige Frau hatte den Mann am 16. September vorigen Jahres gebeten, in der gemeinsamen Wohnung in Bad Cannstatt auf den dreijährigen Jungen und auf die einjährige Tochter aufzupassen. Die Mutter wollte kurz eine Freundin besuchen. Doch der lebhafte Junge fing an zu quengeln, der Angeklagte verlor offenbar die Nerven und schlug zu. Der Bub trug Würgemale am Hals, eine Verletzung am Auge und ein Hämatom an der Stirn davon. Als die Mutter nach Hause kam, soll der Mann sie auch noch geschlagen haben. Dann preschte er im Mercedes der Mutter seiner damaligen Freundin davon.

Frau des Angeklagten schweigt

Inzwischen hatte die Frau ihren Vater alarmiert und die Polizei angerufen. Vor dem Haus soll der Angeklagte auf den Vater und den Bruder zugerast sein, was als versuchter Totschlag gewertet wurde. Er verfehlte die zwei Männer knapp und schrammte mit dem Mercedes am BMW der Opfer entlang.

Aber: Was heißt Opfer? Der 20-Jährige wurde postwendend festgenommen und landete in U-Haft. Dort ehelichte die Frau den Angeklagten. Und im Prozess ließ die 22-Jährige wissen, sie sage nicht aus und ihre Angaben bei der Polizei dürften nicht verwertet werden. Dasselbe ließen ihr Vater und ihr Bruder verlauten. Sie waren durch die Heirat Verwandte des Angeklagten geworden.

Auch die Mutter der 22-Jährigen schwieg. Sie sitzt derzeit selbst im Gefängnis und wurde in Handschließen vorgeführt, um zu bestätigen, dass sie nichts sagen werde. Also waren Gericht und Staatsanwältin die aussagefähigen Opfer abhanden gekommen.

"Aggressionspotenzial nicht im Griff“

Dementsprechend plädiert die Staatsanwältin, was die Schläge für die Frau und die Autoraserei betrifft, auf Freispruch. Die Verletzungen des Kindes seien dagegen dokumentiert, so die Anklägerin. Zudem hatte der berufslose 20-Jährige zugegeben, den Jungen geschlagen zu haben. „Der Angeklagte hat sein Aggressionspotenzial nicht im Griff“, so die Staatsanwältin. Er sei mit einem Jahr auf Bewährung zu bestrafen.

Verteidiger Thomas Mende sieht es ähnlich. Die Gewalt gegen den kleinen Jungen sei eine „Granatenschweinerei“, da gebe es nichts zu beschönigen. Sein Mandant stelle sich der Verantwortung . „Er schämt sich“, so Mende. Aber angesichts der verbüßten sechs Monate U-Haft sei es mit einer Bewährungsstrafe getan.

Die Kammer verurteilt den wegen Körperverletzung vorbestraften Kerl schließlich zu einem Jahr auf Bewährung. Er muss ein Gewalt-Sensibilisierungsprogramm absolvieren. Er war bereits während des Prozesses auf freien Fuß gesetzt worden.