Seit vier Jahren hat die Szene in Stuttgart einen legalen Trail. Foto: Lg/Max Kovalenko

Gewinn oder Gefahrenherd? An der legalen Strecke für Downhillfahrer von Stuttgart-Degerloch bis nach Stuttgart-Süd scheiden sich die Geister. Denn immer wieder fallen Radler auf, die zu wenig Rücksicht auf ihre Mitmenschen nehmen.

Degerloch/S-Süd - Downhill und Degerloch: Das ist keine einfache Beziehung. Auch vier Jahre nach der offiziellen Einweihung der Downhill-Strecke durch den Dornhaldenwald – dem sogenannten Woodpecker-Trail mit Startpunkt an der Helene-Pfleiderer-Straße – sind die Freizeitsportler nicht immer gern gesehene Gäste im Stadtbezirk.

Viele stört das anscheinend mitunter rücksichtlose Verhalten der in voller Schutzmontur gekleideten, meist jungen Sportler. Die 79-jährige Degerlocherin Grit Puhl zum Beispiel. Täglich laufe sie den Schimmelhüttenweg bergabwärts, sagt Puhl. Wenn die Downhill-Strecke gesperrt sei, bretterten die Biker in rasendem Tempo an ihr vorbei. „Das ist furchtbar“, sagt die Rentnerin, die auf einem Ohr taub ist und die Radler nicht heranfahren hört. „Ich habe versucht, mit den jungen Leuten ins Gespräch zu kommen, aber meistens zeigen die mir den Stinkefinger und fahren weiter“, so Puhl.

Obwohl sich bestimmt nicht alle Biker so verhalten würden, gebe es viele Rücksichtslose, sagt sie. Auch in der Stadtbahn-Unterführung habe sie schon ähnliche Szenen erlebt. Viele Downhiller nutzen die Passage als Abkürzung zum Startpunkt ihrer Strecke, nachdem sie mit der Zahnradbahn vom Marienplatz nach Degerloch gefahren sind. Der offiziell vorgesehene Weg für die Sportler verläuft von der Zahnradbahn eigentlich über die Rubensstraße hinunter zur Helene-Pfleiderer-Straße. Vorher müssen sie dabei die B 27 überqueren. Das ist vielen offensichtlich zu umständlich.

Konflikte in der Stadtbahn-Unterführung

Die kurze Fahrt durch die Unterführung aber führt zu Konflikten. Auch Michael Krämer hat häufig brenzlige Situationen beobachtet. Er betreibt den Kiosk direkt in der Passage. Zwar verstehe er, dass die Fahrer schnell zum Startpunkt kommen wollen. „Aber manche übertreiben es, fahren zu schnell durch. Es kommt fast täglich zu gefährlichen Situationen“, sagt er. Unfälle habe er aber noch nicht beobachtet. Bei einer Umfrage unter Passanten zeigt sich ein gemischtes Bild: Einige haben die Biker beobachtet, stören sich aber nicht an ihnen. Andere nehmen sie gar nicht wahr, wie der 45-jährige Thomas Walter, der täglich mit der Bahn nach Degerloch kommt: „Ich habe bislang überhaupt nichts davon mitbekommen.“ Kein Problem sehen die Fahrer der Zahnradbahn mit den Bikern. Diese verhielten sich freundlich und nicht auffällig, sagen sie auf Nachfrage.

Dass es ein Problem gibt, glauben indes die Grünen im Bezirksbeirat. In einem Antrag fordern sie die Verwaltung auf, zu prüfen, wie man dem gefährlichen Treiben Einhalt gebieten kann, und schlagen vor, Schilder oder Bodenmarkierungen am Zahnradbahnhof anzubringen, die die Fahrer direkt zum offiziellen Weg in Richtung Rubensstraße lenken. Den Grünen ist die Nutzung der Passage ein Dorn im Auge, im Antrag erwähnen sie Gefahrensituationen in der Josefstraße und der Helene-Pfleiderer-Straße. Die Fraktion verweist auf einen Vor-Ort-Termin mit Vertretern von SSB und Verwaltung vor drei Jahren, der aber keine endgültige Lösung hervorgebracht habe.

Planung und Bau haben damals 175 000 Euro gekostet

Doch trotz dieser Kritik und zweier besorgniserregender Unfällein jüngerer Vergangenheit – unter anderem stürzte ein 13-Jähriger Ende September schwer – gibt es auch guten Grund, die Strecke insgesamt als Gewinn für Degerloch zu verbuchen. Bestes Beispiel für diese Sichtweise ist Tin Dujinović. Der 34-jährige gebürtige Kroate lebt seit zwei Jahren in Stuttgart und fährt Downhill, so oft er kann: also jedes Wochenende und öfter auch werktags. Dujinović nutzt die Unterführung zwar auch, schiebt sein Zweirad aber vorbildlich, statt durch zu brettern. „Ich finde es fantastisch, dass die Stadt in die Strecke investiert hat, und bin der Meinung, dass wir Fahrer die Umgebung respektieren sollten“, sagt Dujinović.

In Planung und Bau hatte die Stadt 2015 insgesamt 175 000 Euro investiert. Für die Stuttgarter sei der Trail ein Gewinn, sagt Tin Dujinović. Und er mache die Stadt attraktiver – sogar im Vergleich mit einer der Fahrradstädte Europas schlechthin. „Ich habe zehn Jahre in Amsterdam gelebt. Dort haben sie so etwas nicht zu bieten“, schwärmt der Downhiller, der erzählt, allein durch seinen Sport schon zehn neue Freunde in Stuttgart gefunden zu haben.