Manipulation im Sport ist offenbar eine Geschichte, die kein Ende findet. Foto: dpa

21 Athleten aus acht Nationen und fünf Sportarten: Der Dopingskandal um den Erfurter Sportmediziner Mark Schmidt weitet sich aus.

München/Erfurt - Die Dopingrazzia während der nordischen Ski-WM in Seefeld war kaum vorbei, da begann das Rätselraten. Denn selbst Experten taten sich schwer, die Größenordnung des Betrugs einzuschätzen. Einige bezweifelten, dass es sich beim aufgeflogenen Dopingnetzwerk des Erfurter Sportmediziners Mark Schmidt tatsächlich um ein weltweit operierendes Unternehmen handeln würde. Zumindest dieser Punkt ist nun geklärt.

Am Mittwoch äußerte sich Kai Gräber, Chef der Schwerpunktstaatsanwaltschaft in München, zum Stand der Ermittlungen in der „Operation Aderlass“. Fest steht, dass zumindest 21 Athleten aus acht Nationen mit Unterstützung von Schmidt Eigenblutdoping betrieben haben, darunter „ein kleiner Prozentsatz Frauen“ (Gräber). Dass Kuriere in ganz Europa, aber auch bei den Olympischen Winterspielen 2018 im südkoreanischen Pyeongchang und auf Hawaii unterwegs waren, um Athleten mit Blutbeuteln zu versorgen. Dass es seit 2011 eine dreistellige Zahl an Blutentnahmen und -rückführungen gab. Dass in Erfurt auch mit dem Wachstumshormon und anderen, bisher nicht identifizierten Präparaten gedopt worden ist. Dass neben dem Langlauf zwei weitere Wintersport-Disziplinen betroffen sind, daneben ziemlich sicher Triathlon sowie der Radsport. Und dass jeder Athlet pro Saison zwischen 4000 und 12 000 Euro für die Dienste an Schmidt bezahlt hat. „Er hat seinen Schnitt gemacht“, sagte Oberstaatsanwalt Gräber, der sehr zuversichtlich ist, den Dopingskandal komplett aufdecken zu können: „Die Beweislage ist grandios.“

Auch andere Athleten geraten in den Fokus

Das passt zur Aussage von Georg Eisenreich. Der bayerische Justizminister erklärte, dass bei der Razzia in Seefeld nur die „Spitze des Eisbergs“ sichtbar geworden sei. Das lässt den Schluss zu, dass noch mehr aufgedeckt werden wird, zumal Gräber bestätigte, dass auch Athleten in den Fokus der Ermittler geraten sind, von denen keine tiefgefrorenen Blutbeutel mehr existieren. Sie tauchten auf den Festplatten oder in den Unterlagen auf, die in Erfurt beschlagnahmt worden sind. Der Oberstaatsanwalt zog auch einen Vergleich zum Fall Fuentes. Bei dem spanischen Gynäkologen waren 2006 mehr als 200 Blutbeutel gefunden worden, aufgeflogen sind damals 58 Radprofis, keine Athleten aus anderen Sportarten. „Wir haben zwar nur zwischen 40 und 50 Blutbeuteln“, sagte Gräber, trotzdem könne es sein, „dass am Ende mehr Athleten identifiziert werden.“ Ob auch deutsche Sportler zu den Betrügern zählen, ist weiterhin unklar.

Genaue Erkenntnisse liegen den Dopingjägern dafür über die Arbeitsweise von Mark Schmidt vor. Der 48-Jährige, der früher als Teamarzt beim damaligen Radrennstall Gerolsteiner arbeitete, der in zahlreiche Dopingfälle verwickelt war, hat in einer Garagenanlage in Erfurt eine Einheit gemietet. Im hinteren Teil seiner Garage baute er eigenhändig einen abschließbaren Verschlag (Gräber: „Das hat er uns voller Stolz berichtet“). In dem abgetrennten Bereich lagerte Schmidt alle Gerätschaften, die er fürs Blutdoping benötigte – von einem großen Tiefkühlschrank über eine Zentrifuge, mit der sich rote und weiße Blutkörperchen voneinander trennen lassen, und ein Temperiergerät zum Auftauen gefrorener Blutkonserven bis hin zu Medikamenten, Plastikbeuteln und -schläuchen. Ein Großteil des Equipments stammt von Stefan Matschiner. Der frühere österreichische Dopingdealer, der 2008 seinen Kunden Bernhard Kohl beinahe zum Sieg bei der Tour de France gedopt hätte, versicherte nach seiner Verurteilung zu einer Bewährungsstrafe im Jahr 2010 zwar, seine Geräte gemeinnützigen Zwecken zur Verfügung zu stellen. Tatsächlich aber verkaufte er sie an Mark Schmidt – laut Münchner Staatsanwaltschaft für 50 000 Euro.

Erschreckende Einblicke

Gräber lieferte auch erschreckende Einblicke in den Dopingalltag. So sei in einem Fall an einem Sportler ein neues Präparat ausprobiert worden. Doch die Behandlung musste wieder abgebrochen werden, nachdem starke Nebenwirkungen aufgetreten waren. In einem anderen Fall habe sich ein Sportler nach dem Eigenblutdoping gefühlt, als stünde er unter Drogen – er musste beide Arme tief in den Schnee stecken, um wieder einigermaßen klar zu werden. Anderen Sportlern sei vor langen Flügen ein Liter Blut zugeführt worden, samt Mittel gegen die drohende Thrombose. „Medizinisch“, sagte Gräber, „war das nicht in Ordnung.“

Bleibt die Frage, wie es nun weitergeht. Klar ist: Die Kunden von Schmidt müssen weiter zittern, laut Staatsanwaltschaft kann keiner davon ausgehen, nicht aufzufliegen. Der Sportmediziner und vier seiner Helfer (die letzte Verhaftung gab es am Montag) sitzen in Untersuchungshaft, zu den Beschuldigten gehört auch Schmidts Vater. Dem Kopf des Netzwerkes droht eine Haftstrafe von bis zu zehn Jahren. Fortsetzung folgt.

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