Marina Kem, Notker Mahr (re.) und Tonmeister Max Kielhauser auf dem Mekong Foto: Sterntaucher

Der Dokumentarfilm „Bonne Nuit Papa“ von Marina Kems strahlt eine Zerrissenheit aus. Kems erzählt ohne Vorwurf und ehrlich von ihrer deutsch-kambodschanischen Familie und wie Dämagogen, Ideologen und Kriegsgewinnler Seelen zerstören.

Stuttgart - Schnee liegt auf den Glaskuppelbauten des Tropenhauses in der Wilhelma. Ein Kameraschwenk ins Innere: In der üppig wuchernden Pflanzenwelt wandeln Vater und Tochter, Ottara Kem und Marina Kem. Zwei Menschen von exotischer Schönheit, für die die maurisch inspirierten Bauformen ungefragt zur Bühne werden. „Immer, wenn mein Vater mich in Ludwigsburg besucht hat, gingen wir in die Wilhelma“, sagt Marina Kem. „Sein Kambodscha kannte ich nur aus Gewächshäusern, über seine Heimat sprach er nie.“

Die Regisseurin, Absolventin der Ludwigsburger Filmakademie, platziert die Wilhelma-Bilder an den Anfang ihrer poetischen und geschichtlich hoch informativen Spurensuche, nimmt die Zuschauer also vom ersten Schritt an mit auf die Reise, die ihr erster langer Dokumentarfilm geworden ist.

Am Mittwoch hat die 1975 in Dresden geborene Marina Kem „Bonne Nuit Papa“ im Kino Delphi in Stuttgart vorgestellt. In ihrer Dokumentation, ins Bild gesetzt vom Stuttgarter Kameramann Notker Mahr, erzählt sie ohne Vorwurf und ehrlich von ihrer deutsch-kambodschanischen Familie und wie Dämagogen, Ideologen und Kriegsgewinnler Seelen zerstören. Nur Verbundensein und Versöhnung vermögen die Spirale von Hass und Zerstörung außer Kraft zu setzen, das ist Kems Botschaft.

Sie nutzt Filmausschnitte und Fotos aus privaten und nichtprivaten Archiven in der DDR und Kambodscha, verbindet sie mit Interviews und Fahrten nach Kambodscha in verschiedenen Handlungssträngen zur Zeitreise vom Geburtsjahr des Vaters 1946 bis zum Abschluss der Filmarbeiten im Jahr 2014. Die berückend schöne, japanisch inspirierte Ästhetik von Notker Mahrs Bildern bricht manche Härte, und die offenen Bekenntnisse der Protagonisten berühren zutiefst.

Als 19-Jähriger kam Ottara Kem in die DDR, um an der Dresdener TU zu studieren. Er wollte nie bleiben, verliebte sich in eine Deutsche, heiratete, wurde Vater von drei Töchtern – während in seiner Heimat die Roten Khmer sein Volk und seine dortige Familie ausrotteten. Ottara Kem, inzwischen promoviert, fiel ins Schweigen. Der einst sinnliche, dem Leben zugewandte Mann („er zeichnete Frauenbeine und Flugzeuge“, sagt ein Zeitzeuge) versank in sich.

Erst in der Bedrohung durch den Krebstod öffnete er sich – so entstand die Idee der ältesten Tochter, inzwischen Journalistin und später Studentin an der Filmakademie Ludwigsburg, einen autobiografischen Film zu machen. Die Schürfarbeiten für den Film erschütterten Marina Kem so tief, dass sie in Kambodscha schwer erkrankte – aber auch ihre eigenen asiatischen Wurzeln wiederfand.

„Ich war in meinem Deutschsein so ausgefüllt, das die väterliche Seite gar keinen Platz fand“, sagt sie. Heute trägt sie ein rotes Segnungsband um das rechte Handgelenk. Ein Geschenk des Abtes, zu dessen Kloster sie die Urne ihres 2008 verstorbenen Vaters gebracht hat, über 8000 Kilometer von Deutschland nach Asien . „Seine Hülle hatten wir in Dresden aufgebahrt, in einer buddhistisch-bramaistischen Zeremonie haben wir ihn zurück in seine Heimat geführt, das war sein Wunsch“, sagt sie.

Ottara Kems schriftlich fixierte Beobachtungen und Empfindungen, die er immer in der dritten Person notierte, fassten Freunde in ein Buch. Marina Kem flog bereits zum achten Mal nach Kambodscha, um ihre asiatische Familie zu besuchen. „Bonne Nuit Papa“ war der abendliche Gute-Nacht-Gruß der Kinder in der Familie Kem; als Titel der Dokumentation bliebt er nun erhalten.

Der Film ist mit dem Prädikat „Besonders wertvoll“ ausgezeichnet und auf nationalen und internationalen Festivals erfolgreich gelaufen. An diesem Sonntag ist er noch einmal im Kino Atelier am Bollwerk zu sehen in einer Matinee um 13.30 Uhr.