Ministerin Theresia Bauer gab den Startschuss für die Bürgerbeteiligung in Fragen rund um die Oper. Foto: Pressefoto Horst Rudel/Horst Rudel

Bei der „Mittendrin“-Veranstaltung der Stuttgarter Nachrichten im Schauspielhaus Stuttgart herrschte Einigkeit darüber, dass die Oper saniert werden muss. Die Ministerin für Wissenschaft und Kunst will die Bürger nun noch stärker mitnehmen.

Stuttgart - An plakativen Beispielen, um die derzeitige Situation im Opernhaus zu beschreiben, mangelt es nicht. Da ist die Bühnentechnik, die bei großen Belastungen an ihre Grenzen stößt, da sind die Blechbläser, die sich zu fünft oder zu sechst mit Trompete, Posaune und Tuba in einem nur wenige Quadratmeter großen Raum einspielen müssen – und da da sind die 14 Tänzerinnen im Ballett „Schwanensee“, mit weißer Körperfarbe bemalt, die sich ein Waschbecken teilen. Dass die Stuttgarter Oper saniert werden muss, darüber herrschte Einigkeit am Sonntag bei der „Mittendrin“-Veranstaltung unserer Zeitung und der Staatstheater. Das „Wie?“ befeuerte aber die Debatte unter der Moderation von Nikolai B. Forstbauer, Titelautor der Stuttgarter Nachrichten.

Eine Milliarde Euro für die Sanierung

Nach Jahren der Diskussion hatten Stadt und Land Anfang November einen ersten Kostenplan für die Opernsanierung präsentiert. Die Zahl, die dabei herauskam, sorgte in den vergangenen Wochen für Aufruhr: Rund eine Milliarde Euro steht im Raum.

Stadt und Land, die sich als Träger der Staatsoper die Kosten teilen, wollen sich deshalb nun der Diskussion stellen. Die Ministerin für Wissenschaft und Kunst, Theresia Bauer (Grüne), kündigte an: „Wir wollen also mit dem Staatsministerium gemeinsam für Transparenz und für Bürgerbeteiligungsformate sorgen.“ In einem ersten Schritt wurden bereits Informationen auf dem Bürgerbeteiligungsportal der Landesregierung veröffentlicht.

Konferenzen mit Zufallsbürgern

Um die Menschen direkt einzubeziehen, sollen weitere Veranstaltungen wie beispielsweise Konferenzen mit zufällig ausgewählten Menschen folgen. Deren Beteiligung ersetze nicht die Verantwortung derer, die gewählt sind, bestimmte Aufgaben wahrzunehmen, betonte Bauer: „Wir könnten doch heute gar nicht fundiert streiten, hätten wir nicht schon unseren Job gemacht miteinander.“ Einen Bürgerentscheid lehnte die Ministerin klar ab. „Ich glaube wirklich nicht, dass so ein komplexes Thema eine Angelegenheit für einen Bürgerentscheid ist“, sagte sie. Stattdessen kündigte sie „Bürgerbeteiligung in vielen Facetten ab sofort“ an.

Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) hatte sich in den vergangenen Wochen widersprüchlich geäußert: Nachdem er zunächst gesagt hatte: „Grundsätzlich ist das selbstverständlich etwas, wo die Bürger entscheiden können“, sprach er sich später klar gegen einen Bürgerentscheid in der komplexen Opernfrage aus. Die Grünen haben ihre eigenen Erfahrungen mit Volksabstimmungen: Nach der Landtagswahl 2011 lehnte eine Mehrheit der Bürger in einem von den Grünen initiierten Volksentscheid den Ausstieg aus dem Bauprojekt S 21 ab.

Über Alternativen sprechen

Oberbürgermeister Fritz Kuhn (Grüne) betonte, für ihn sei es positiv, dass sich die Bürgerbeteiligung nun auf den Vorschlag von Stadt und Land beziehen könne. „Ich lade geradezu ein, dass jetzt genau über Alternativen noch mal gesprochen wird.“ Nicht nur Gemeinderat und Landtag müssten sich damit auseinandersetzen. Die eine Milliarde Euro sei für ihn der Inbegriff von Ehrlichkeit und nicht von Verlogenheit, so Kuhn weiter. Er wolle aufhören mit der Nummer, politische Zahlen zu nennen, um so Akzeptanz für bestimmte Beschlüsse zu erhalten.

In die Berechnungen fließen neben den 550 Millionen Euro für die eigentliche Sanierung des historischen Littmann-Baus und das neue Kulissengebäude rund 400 Millionen Euro für Baukostensteigerungen bis ins Jahr 2029 und Risikozuschläge ein. Hinzu kommen Kosten für die Ausweichspielstätte an den Wagenhallen.

Der Geschäftsführende Intendant der Staatstheater, Marc-Oliver Hendriks, machte dabei deutlich, dass ein Großteil der Erweiterung der alten Oper benötigt werde, die Arbeitsplätze dort überhaupt in einen genehmigungsfähigen Zustand zu versetzen. Dabei betonte er, eine mögliche Erweiterung des Opernbaus, um Platz für eine moderne Bühne zu schaffen, wäre sogar im Sinne des Architekten Max Littmann. Der habe den Plan einer Seitenbühne nur verworfen, weil sein Auftraggeber König Wilhelm II. auf einer Kutschenanfahrt bestanden habe. „Wir haben die einmalige Chance, funktional diesen monarchistischen Makel des Hauses zu beseitigen“, warb er mit Augenzwinkern.

Diskussion über das Quartier

Der Ehrenpräsident der Architektenkammer, Wolfgang Riehle, und Wieland Backes vom Verein Aufbruch Stuttgart machten sich dafür stark, über die Gebäude hinaus zu denken. Riehle plädierte für einen Ideenwettbewerb über das Stadtquartier, bevor man sich mit dem Staatstheaterkomplex befasse. Der frühere SWR-Moderator Backes sagte: „Wenn man schon eine Milliarde mobilisiert, kann das nicht nur eine Gebäudeaufwertung sein, sondern muss das ganze Quartier aufwerten.“ Das müsse eine Bürgerbeteiligung einbeziehen. Sein Verein hatte eigene Pläne für die Opernsanierung vorgelegt, die unter anderem ein Interimsquartier am Anfang der Königstraße beinhalteten, das nach Sanierung der Oper als Konzerthaus weitergenutzt werden könne. Backes sprach sich dafür aus, dass eine Bürgerbeteiligung nicht von der im Land zuständigen Staatsrätin Gisela Erler, sondern von unabhängiger Hand, „einer unabhängigen Persönlichkeit“ geleitet würde. Im Saal säßen am Sonntag nur Freunde der Oper. „Aber es gibt die vielen anderen“, warnte er. „Wer die nicht sieht, der betreibt auch keine Politik des Gehörtwerdens, sondern der wartet darauf, dass man lauthals brüllt.“ Er sprach sich dafür aus, dass auch historische Gebäude als öffentlicher Raum genutzt und „gelebte Stadt“ würden. „Dafür sehe ich bis jetzt keinen Ansatz“, kritisierte er.

Der Intendant des Schauspiels, Burkhard Kosminski, kündigte genau solche Vermittlungsangebote an: „Wir müssen das Haus ab nächster Spielzeit im Schauspiel öffnen, es den ganzen Tag offen halten, damit auch jeder Stuttgarter merkt, es ist auch sein Haus, und da finden tagsüber auch andere Sachen statt.“ Es gehe um eine Wertedebatte. Tosenden Applaus und Bravo-Rufe erntete schließlich der Intendant der Oper, Viktor Schoner, als er betonte: „Wir reden hier jetzt nicht über den nächsten Wahlkampf. Wir reden über 2035, ob unsere Kinder Oper und Ballett State of the Art erleben sollen.“