Wie geht es weiter mit der Entwicklung zur Smart City? Das beschäftigt auch die Stuttgarter Bürger. Foto: dpa

Unter dem Begriff Smart City versteht man die Entwicklung zur digitalen Stadt. Doch dient der Ausbau der 5-G-Mobilfunk-Technologie wirklich den Menschen? Auf einer Veranstaltung mit mehr als 400 Zuhörern im Hospitalhof werden Chancen, aber vor allem Risiken thematisiert.

Stuttgart - Steffen Braun vom Stuttgarter Fraunhofer Institut IAO hält es mit dem ehemaligen Formel-1-Rennfahrer Mario Andretti, von dem der Satz stammt: „Wenn alles unter Kontrolle scheint, fährst du nicht schnell genug.“ Peter Hensinger von der Bürgerinitiative gegen Mobilfunk im Stuttgarter Westen zitiert lieber den wissenschaftlichen Beirat der Bundesregierung, der von der „zerstörerischen Kraft einer ungeregelten Digitalisierung“ warnt. Das waren die Meinungspole in der Veranstaltung des Forum 3 zur digitalen Stadt, die am Montagabend mehr als 400 Besucher in den Hospitalhof lockte.

Kein Vertreter der Stadt

Ein Vertreter der Stadt war – wie schon bei der Auftaktveranstaltung im Januar mit 350 Teilnehmern – nicht dabei. Er habe die Büros von Oberbürgermeister Fritz Kuhn, des Baubürgermeisters Peter Pätzold, der Wirtschaftsförderin Ines Aufrecht und vielen mehr im Rathaus abgeklappert, aber nur Absagen erhalten mit der Begründung, dass das Thema noch nicht aktuell sei, klagte Moderator Ulrich Morgenthaler vom Forum 3. „Wir sind Bürger dieser Stadt, aber die Stadt diskutiert nicht mit uns – das schmerzt“, sagte er.

Städte hätten sich immer verändert, sagte Braun, und es habe bei der Einführung neuer Technologien – von Gaslampen über elektrische Straßenbahn bis zum Computer – immer Skepsis und Fehleinschätzungen gegeben. Neu sei aber das Ausmaß der Transformation viel größer, die bei der Digitalisierung von der Mobilität über Sicherheit und Arbeitsebene bis zur Verwaltung viele Lebensbereiche umfasse und rasanter ablaufe als frühere Veränderungen. Es habe Jahrzehnte gedauert, bis sich im Mittelalter die Pferdekutsche von einer Stadt zur anderen ausgebreitet habe, der Fahrdienst Uber habe sich innerhalb von zwei Jahren in 800 Städten etabliert. „Digitalisierung ist viel mehr als der neue Mobilfunkstandard 5 G“, sagte Braun. Bei einer Smart City gehe es aus seiner Sicht in erster Linie nicht um eine neue Technik, sondern darum, wie die Gesellschaft gemeinsam ihre kreativen Potenziale nutze, um nachhaltige Entwicklungen anzustoßen. „Die Frage an uns alle ist, wie wir unser Zusammenleben enkelgerecht gestalten“, sagte er.

Neoliberale Wachstumsideologie?

Ganz anders sehen das Hensinger und der Medienpädagoge Andreas Neider. Eine Digitalisierung, die wie bisher in Deutschland allein an den Interessen der Wirtschaft ausgerichtet werde, sei klimaschädlich, erhöhe den Energieverbrauch, sorge für wachsende soziale Ungleichheit, führe zu einer Machtkonzentration bei wenigen Unternehmen, verstärke die Überwachung und gefährde die Privatsphäre. „Das läuft ungeregelt ab wie bei Stuttgart 21 und dem Wohnungsbau“, sagte Hensinger, „neoliberale Wachstumsideologie gepaart mit Inkompetenz der Politiker und einem Desinteresse gegenüber bürgerschaftlichen Initiativen“.

Der Glasfaserausbau in Stuttgart und der Region, der in einem 1,6 Milliarden Euro umfassenden Gemeinschaftsprojekt von Telekom und Kommunen erfolgen soll, müsse als Teil der Daseinsvorsorge allein von kommunaler Seite bewerkstelligt werden, fordern Hensinger und Neider. Beim 5-G-Mobilfunk müsse der Ausbau wie in Brüssel, Rom und Genf auch in Stuttgart so lange gestoppt werden, bis die gesundheitlichen Folgen geklärt seien. Elektrosmog sei gesundheitsschädlich bis hin zu einem erhöhten Krebsrisiko, sagte Hensinger: „Wenn Smart City so kommt wie geplant, dann werden wir in einer verstrahlten, krank machenden Stadt leben.“ Die Stadt Stuttgart habe der Telekom bereits weitere Standorte für Masten genehmigt, ohne die Bürger zu beteiligen, kritisierte er. „Die Telekom wird als Wohltäter dargestellt“, sagte Hensinger, „und der 5-G-Ausbau wird reduziert auf die Aussage: Ihr bekommt schnelles Internet.“ Neider verwies darauf, dass der 5-G-Standard Voraussetzung für autonomes Fahren sei. „Die Autoindustrie hat deshalb ein großes Interesse daran, weil damit der Privatbesitz an Autos weiter gewährleistet ist“, sagte er: „Es geht um mehr Cash in kürzerer Zeit.“ Eine wirkliche Verkehrswende mit mehr öffentlichem Verkehr werde so verhindert. Auch die Bundeswehr und Sicherheitsbehörden hätten großes Interesse an 5 G.

Experte fordert politische Leitplanken

Braun, der die grün-schwarze Landesregierung bei der Digitalisierung berät, hielt die Bedenken wegen der Gesundheitsrisiken des Mobilfunks „teilweise für nachvollziehbar“. Darüber und über die „politischen Leitplanken“ müsse mit den Bürgern in einer „offenen Dialogkultur“ gesprochen werden. Das sei auch in den meisten Kommunen im Südwesten der Fall. „Digitalisierung kann den ökologischen Kollaps beschleunigen, aber durch die richtige Anwendung können wir damit auch die Nachhaltigkeitsziele erreichen.“